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Die sieben Wege des IoWT

Gastbeitrag von Jasmina Tešanović[1],
übersetzt von Joerg Blumtritt. [Original Blog Post]


Es war meine Idee, ein “Open Source Connected Home der Zukunft” zu bauen. Mein Plot wurde von den Geeks unserer schönen neuen Welt angenommen, von brillianten Leuten, die aber fast alles Männer sind. Sie nannten das Haus “Casa Jasmina”, nach meinem Namen: Ich bin dankbar dafür, aber das Haus ist alles andere als gemütlich.

Menschen sind unterschiedlich und leben in unterschiedlichen Blasen von begrenztem menschlichen Verstand. Männer und Frauen, Dichter, Philosophen, Musiker, Architekten, Designer, Ingenieure – wir könnten sie versuchen in Idealisten und Realisten einzuteilen – die Menschen in den Wolken-Blasen und die Menschen in den Blasen des Erdreichs.

Ist nun ein Projekt wie Casa Jasmina “hands-on”, praktisch, ein Projekt der Maker, die ihren Idealen aufwärts entgegen streben, oder sind es ein paar Ideale, die nach Erdung streben, um zu zeigen, dass die hochfliegenden Konzepte tatsächlich möglichich sind?

Ist es ein Haus für die Wolken-Blasen-Leute, jene, die ihre Wolken-Welt erfinden, bevor sie am Boden aufschlagen (oder zumindest am Boden landen, um ab und zu Vorräte aufzunehmen)? Oder ist es eine erdverbundene Startrampe für die Sehnsucht, auf der die Erd-Blasen-Leute Werkzeuge bauen, um den Himmen zu erreichen?

Wie kann eine Traumblase ein wirkliches Haus werden? Wie kann eine Wolke ein Fundament bilden? Spielt der Kronleuchter, das Lieblingsstück deiner Großmutter, eine Rolle in einer Raumstation? Welche Objekte gehören – nicht zu der Welt wie sie ist, sondern in die Welt, wie sie sein sollte?

Wenn Designer davon sprechen, dass sie “Out of the box” denken – welche Box stellen sie sich unbewußt dabei vor? Eine antike, geschnitzte, altbackene Holztruhe, oder irgendeine durchscheinende, minimalistische Schachtel aus durchscheinendem Plastik? Wir haben alle unsere Seifenblasen und Gehäuse, aber auf welche Art ist die Kiste einer Frau die einer Frau?

Das “Internet of Things” ist eine Wolkenplattform, und gleichzeitig ein konzeptuelles Gehäuse. Dies ist das Wesen des “IoT”: Es ist eine digitale Plattform für Software, wireless, mit Rechenleistung und daten-zentriert. Ebenso ist es ein Paradigma.

So erschien mir auf meiner Suche nach einer Art drittem Weg zwischen Feminismus und Design, ein “Internet of Women Things” – das Internet der Frauen-Dinge. Könnte dieses “IoWT” großzügig Raum schaffen für konzeptuelle Projekte, für Ideen und Rat, für den Sinn nach Schönheit und erfülltem Leben? Solche Konzepte geben nicht häufig ersten Anstoß für Technolgie-Projekte, aber sie halten gemeinhin am längsten.

Das IoWT ist etwas, dass ich im Nebel erkannte, als eine “Wolke”, dennoch bodenständig. Die IoWT-Wolke mag auf ihre Weise sogar ein Stück weit unter die Erde reichen, geprägt nicht nur von luftigen Idealen, sondern auch von unterdrückter, weiblicher Energie.

Das “Internet of Things” kann nicht einfach nur von und für Web-Technologen bestehen, da es nicht nur die Dinge umfasst und sich darauf erstreckt, sondern auch auf Frauen und Kinder oder Tiere, oder Pflanzen, oder Roboter … Im Augenblick sehe ich das IoT in gefährlicher Weise außerhalb der Weltsicht der Frauen. Das IoT ist so entfremdend und so eng begrenzt auf die heutigen technischen und wirtschaftlichen Erfordernisse, dass es sehr wohl ganz und gar scheitern kann. Es wäre ein Jammer, wenn seine weitreichenden Fähigkeiten für diese Generation verloren gingen, unter einem Haufen von gescheiterten, über-ambitionierten Spielzeugs begraben, wie es ähnlichen technologischen Visionen erging, wie etwa Virtueller Realtät oder Künstlicher Intelligenz.

Frauen sind ebenso verantwortlich für Technologie, wie Männer, und in der Internet Revolution spielten wir die tragende Rolle – im Guten wie im Bösen. Nur durch Verweis auf unsere Chromosomen können Frauen nicht von der Moderne ausgeschlossen bleiben.

Selbst unter der Bedingung eines Entscheidungskampfes um das Internet of Things – und sei es um gerechter und hoher Gründe willen – sollten wir nicht dulden, dass Missbrauch, Verbrechen und Unfälle die Regeln setzen. “Dinge” waren immer mühsam, während das “Neuland Internet” des zwanzigsten Jahrhundert seine häßliche Seite zeigt, in schäbigen Geschäftspraktiken, Cyberwar und repressiven Verhalten.

Ja, Frauen wissen, wie man überlebt, und – zumindest nach meinem dafürhalten – auch, wie man bestehen bleibt. Ich habe erlebt, wie Frauen mit Kriegen, humanitären Notlagen und mit politischen und wirtschaftlichen Katastrophen zurecht gekommen sind. Ich selbst habe das Atom- wie das Weltraumzeitalter durchlebt, also werden mich digitale Maschen und Moden nicht aus der Ruhe bringen. Das Internet of Things, diese Schublade, diese Wolke, diese Plattform, liegt nicht außerhalb meiner Auffassungsgabe. Im Gegenteil; ich habe daran Hand angelegt und habe dafür sogar so etwas ähnliches wie Prinzipien zu bieten.

Und hier kommen ein paar davon …

1. Kritisches Denken

Wenn Frauen schon aktiv in einer Männerwelt leben, wird eine kritische Revision der bereits bestehenden Verhältnisse notwendig, um das IoT zum IoWT aufzuwerten. Wann immer Menschen mit Werkzeug zusammenstoßen, das für die Ambitionen von weißen, jungen, männlichen Hight-Tech-Kommerz-Unternehmern aus Silicon Valley entwickelt wurde, ist das Ergebnis oft klobig, unschön, tragisch oder grotesk.

Frauen sollten nicht fehlerhaftes Design mit Gender-Problemen verwechseln. Frauen werden immer als “schlechte Autofahrer” abgekanzelt werden, solange sie übergroße und übermotorisierte Panzer und Traktoren fahren müssen, und genau diese ungleichheit umangelhafte Anpassung ist in Heerscharen von historischen Objekten und Diensten eingebacken, die lediglich nicht frauenfreundlich sind. Der Teufel sitzt in den Details, aber kritisches Bewusstsein über die Werke des Teufels zu besitzen, ist ein Kunststück, dessen nur wenige Teufel fähig sind.

2. Positive Inklusion

Das Internet of Things ist das Unternehmen einer technischen Elite, das Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt; daher sollte das Projekt eine wesentlich breitere Vielfalt von Menschen als Teilhaber einbeziehen, statt nur als Kunden. Frauen müssen präsent und sichtbar sein, wobei die jüngste Geschichte die durchaus gemischte politsche und soziale Wirkung des Internet auf Sprachkulturen, Nationalitäten, ethnische Gruppen, Regionen und Völker gezeigt hat.

Die Welt in diesem Jahrzehnt wimmelt von angsterfüllten Flüchtlingen, denen wohl das Internet, aber kaum noch irgendwelche “Dinge” geblieben sind. Flüchtlinge brauchen zu allererst Brot und eine Unterkunft, aber diese elementaren Bedürfnisse, die es auch für uns alle nach Flutkatastrophen oder Erdbeben zu befriedigen gälte, scheinen kaum je von größerer Bedeutung für diejenigen zu sein, die an einer einträglichen IoT-Zukunft arbeiten, inklusive geschlossener Tech-Ökosysteme und marketing-getriebener Ausspähung der Kunden, sogenannter Marketing Surveillance.

Im Gegenteil konzentriert sich ein Großteil der Arbeit am IoT intensiv auf Sicherheit, feindselige Exklusion und Communities, die mit physischen wie psychologischen Zäunen abgegrenzt werden – Strukturen und Systeme, die entwickelt werden, um all die Unerwünschten, die Ausländer, die Vertriebenen und Entwurzelten schön ausßerhalb der IoT-Schranken zu halten.

Menschen brauchen mehr als Dach und Brot, mehr als Clicks und Sammelpunkte, um nicht nur gesund, sondern auch munter zu bleiben. Wo sind die IoT-Formate, die Menschen positiv einschließen, die ein schreiendes zweijähriges Mädchen und ihre Mutter auf einer kaputten Straße vor Schaden bewahren? Tatsächlich “Out of the Box” leben Frauen, deren “Boxen” ausgebombt wurden. Wie können deren Stimmen hörbar werden, und wie ihre Vorstellungen zur Umsetzung kommen?

3. Positive Abgrenzung

Das IoWT braucht einen Freiraum, wo sich Frauen treffen und voneinander lernen können. Frauen können nicht alles, was es über ihre eigenen Interessensgebiete zu wissen gibt in Hörsälen der Ingenieursdisziplinen lernen, wo schon so lange die Regeln der männlichen Welt vorgeherrscht haben.

Wenn Frauen sich ohne männliche Aufsicht treffen, haben sie ihr Coming-Out. Die Regeln ändern sich, ihr Verhalten ändert sich; Frauen finden sich in der veränderten Anmuting wieder wieder, in moralischen Regeln, die in Jahrhunderten weiblichen Überlebens überliefert wurden, die davon handeln, für Nahrung zu sorgen, Kinder zu kleiden, gegen Krankheiten zu kämpfen, das Heim vor Verall und Zerstörung zu bewahren. Viel davon entfaltet sich nicht in Lehrbüchern und Algorithmen, sondern eher in Sticheleien, in Witzen, im Sermon; häufig im Ratschen – denn die Gemeinschaftlichkeit der Frau-zu-Frau-Welt ist nicht politisch korrekt, nicht mal notwendiger Weise gut.

Es gibt keine Parlamente, die der Begegnung von Frauen vorbehalten wären. A-historische Versammlungen, um es kurz zu sagen. Wann immer in den historischen Archiven von Staatsaffären und Politik zu lesen ist, können wir grundsätzlich davon ausgehen, dass es darum geht zu beschreiben und zu erklären, was alles nicht von Frauen getan wurde. Aber Aufzeichnungen, was Frauen taten, haben wir nicht!

Sogar die Frauen, die als Expertinnen in der Kreativwirtschaft bekannt sind, werden in der Regel nur in Zusammenhang mit Männern aus dem selben Fach genannt. Unsere Vorgängerinnen in der Geschichte sind meist Töchter, Ehefrauen oder Mütter von irgendeinem berühmten Kerl, nur en passant von dessen Prominenz gestreift, wenn sie für ein gemeinsames Werk bekannt sind. Aber diese Geschichten sind nicht die weibliche Geschichte der weiblichen Schöpferkraft, es ist mehr eine geräumige Leere, in der Frauen für ewig Gefangene bleiben, stets als unerwartete Eindringlinge in den offiziellen Affären der Welt, Dissidenten, oft sogar Hexen.

Diese Kategorien verschwinden allerdings, sobald nur Frauen im Raum sind. Ich habe die Kraft und den Reiz dessen erfahren, in mir selbst und bei anderen Frauen in kleinen Gruppen, in denen ich aktiv wurde, manchmal sogar aktiv gegen meinen eigenen Willen. Gruppen wie “Die Mütter von Srebrenica”, die Überlebenden eines Völkermordes, die einen alternativen Strafgerichtshof der Frauen geschaffen hatten. Frauen, die im Jugoslawienkrieg vergewaltigt worden waren, die durch ihre tapfere Aussage Vergewaltigung im Krieg zu einem weltweit geächteten Kriegsverbrechen machten, statt Vergewaltigung dabei zu belassen, wie sie in der Kriegsgeschichte bislang betrachtet worden war, bestenfalls als eine Fußnote, eine “natürliche Folge”, selbstverständlich wohl bekannt und gefürchtet von allen Frauen im Krieg, vom Gesetz und den Männern ignoriert.

Das Internet of Things hat viele Aspekte, die Frauen betreffen, die nie explizit gemacht werden – einige davon werden grauenvoll werden, andere vielleicht wunderbar. Ethik ist Ästhetik, Inhalt ist die Form, daher ist “positive Abgrenzung” nicht nur ein Experiment, sie bringt schon gute Ergebnisse hervor.

4. Politik und Strategie

Frauen, das Mehrheits-Geschlecht, stellen die größte unterdrückte Menschengruppe der Welt. Sie haben viele und unterschiedlichste Systeme der Unterdrückung erlebt, und sie wissen, dass das Internet of Things schlicht ein weiteres davon sein könnte.

Frauen haben im Internet seit langem Erfahrung mit Stalking, aufdringlicher Beobachtung, Ausspähung, Doxxing, organisierter Schikane und andere Übergriffe in die Privatsphäre mit technischen Hilfsmitteln. Die unsichere Position derer, die sich online öffentlich zu Wort melden oder sich einsetzen, ist ihnen sehr genau bewusst, und somit sind Privatsphäre und Sicherheit grundlegende Themen für das IoWT, nicht nur als Funktionen der Hardware, sondern als ein Recht an sich: Das Menschen Recht für Frauen.

Das Internet of Things breitet sich in einer politischen Ära aus, die einen Edward Snowden, Advanced Persistent Threat Hacking aus China, geleakte Offshore Banken, Terror Militias, Geheimdienste und die gigantische, weltumspannende Marketing-Überwachungsmaschinerie von Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft einschließt. Wenn wir also über “Connected Things” im IoT sprechen, meint dies notwendiger Weise, Dinge, die mit diesen Gebilden verbunden sind und nicht nur mit irgend einer idealisierten und abstrakten IoT “Cloud”.

Frauen sind einigen Formen von Überwachung unterworfen, weil sie Frauen sind, zum Beispiel an der Tür zu einer Abtreibungsklinik oder weil sie es wagen, unverschleidert auszugehen. Sie müssen für die Kontrolle über ihren eigenen Körper kämpfen: Unserer Körper. Für eine weibliche Prominente kann selbst eine neue Frisur oder die Wahl des Lippenstifts einen viralen Aufruhr provozieren, eine zunehmend verbreitete Situation, da jedes kleine Detail in irgend einem Selfie teil einer permanenten Datenbank werden kann.

Orwell hatte uns schon vor der herabwürdigenden Sprache und dem Abrutschen in eine Dystopie des Verfalls gewarnt. Totalitarismus is eine lebendige Erinnerung, und wir alle sind uns paranoisch bewusst, wie schlecht die Dinge möglicherweise werden können. Die Hände zum Himmel zu strecken ist nicht genug. Wie kann das Internet of Things das Privatleben von Frauen wirklich verbessern und als Frauen in mehr Sicherheit erleben lassen, statt weniger?

5. Just do it

Es gibt Zeiten, die nach Wagnis und Tollkühnheit verlangen. Frauen haben nicht immer schon nach Prinzipien der Vorbeuge gelebt; anderenfalls gäbe es keine Anti-Baby-Pille.

IN Zeiten des Tumult sind die letzten vielleicht die ersten. Meine Mutter war als Teenager ein antifaschistischer Partisan im von den Achsenmächten besetzten Jugoslawien. Sie prahlte stets damit, dass Frauen in der Kriegszeit nicht empfindliche Püppchen waren, sondern zu allererst Revolutionskämpfer. Warum, so hätte sie argumentiert, sollte eine Frau, die sich selbst ins Bein schießt, dabei voller Selbstzweifel lamentieren, während Nazis gleichzeitig versuchen sie umzubringen? Selbstverständlich kannst du als Kämpferin im Feuer versehrt werden, aber der Feind kann genauso gut daneben schießen. Und die Befreiung wird nicht von selbst kommen.

Frauen treten nicht aus dem Mutterleib heraus, und beginnen Befreiung einzufordern. Sie werden Feministinnen, nach erlebter Frustration und Diskriminierung. Eine Frau muss nicht um Sorgen bitten, um viel davon serviert zu bekommen, aber dasselbe gilt für die Chancen.

Wir leben tatsächlich in einem Zeitalter der Technologie, in dem Frauen nicht länger zu Hofstatt, Küche, Kirche und ewigen Schwangerschaften verdammt sind. Technologie und die Gleichberechtigung der Frauen sind nicht dasselbe, aber sie sind auch nicht ihr gerades Gegenteil. Technologie und Empfängnisverhügung stehen hinter der revolutionären Emanzipation der Frau im zwanzigsten Jahrhundert. Körperkraft legt nicht länger die Rollenteilung fest, und der “Naturzustand” der Frau ist nicht mehr die Schwangerschaft während ihres ganzen, mittlerweise verlängerten Lebens.

Das Internet of Things schmeckt nach den Internet-Konzernen die heutzutage tonangebend sind, aber dar Geist des älteren Internet ist nicht vergessen. Die Wurzeln des IoT sind so alt, wie die Netze von Stromversorgung und Telefon, in denen Frauen stets Nutzer und Teilnehmer waren. Telefonistinnen sind heute überflüssig, aber es gab Heerscharen davon.

Das Internet of Things wird eines Tages ebenfalls vergehen. Neue Kulturräume können niemals vollständig alte Benachteiligung reproduzieren; wenn wir “aus der Box” treten, bauen wir uns vielleicht eine neue, niemals aber wieder dieselbe alte Box.

Warum wollen wir uns nicht einfach in kleinen Gruppen treffen und mutig tausend kleine Schachteln bauen und uns ansehen, was passiert? Ein attraktiver Ansatz!

6. Design Fiction

Wir können uns Dinge vorstellen, die wir noch nicht verwirklichen können. Auch wenn es zum Beispiel den Weltfrieden miot Sicherheit nicht gibt, können Frauen pazifistische Bewegungen ins Leben rufen und anführen und die ersten sein, die die Trümmer wegräumen, wenn jemals der Krieg enden sollte. Sie tun das nicht nach dem männlichen Lehrbuch-Stil abstrakter Effizienz, aber Männer haben auch schon oft ihren Hintern dadurch gerettet, auf Frauen zu hören und ihnen zu folgen.

Die Gleichheit der Geschlächter und allgemeine Gerechtigkeit sind ebenfalls Visionen, aber das gilt auch für ein reibungsloses Internet und perfekt designte und funktionale Dinge. Jeder Ingenieur kennt die Unterscheidung “AM/FM”, “Actual Machines”, die man wirklich gebaut hat, und “Fantastic Magic”; das sollte also auch für schöpferische Erlaubnis für Frauen auf technologische Träume ausreichen.

Warum also nicht spekulative und konzeptuelle Objekte aus einer Frauen-Perspektive erfinden? Stellt euch Dinge und ihre Verbindungen vor, die es noch nie gegeben hat und beschreibt sie. Mögen sie seltsam sein, oder hübsch, nützlich oder nutzlos, Luxus der zum Gebrauchsgut wird, oder umgekehrt.

Design fiction, ‘fantasia al potere’, hebt Ungläubigkeit auf und holt das Unglaubwürdige zurück ins Mögliche. Selbst traditionelle Künstler und Kunsthandwerker können ihre Arbeit wiederbeleben, indem sie sich neue Rollen für ihre Werke in vermuteten Welten ausdenken.

Meine Lieblingsform von Design Fiction ist nicht das Ausdenken völlig neuer Dinge – nur sehr wenige wirkliche Dinge entbehren der Vorläufer – sondern im Neuentwurf der Objekte, die wir bereits in unserem Erbe mitführen. Ich liebe alte Sachen aus der Vergangenheit, da ich empfänglich für ihre emotionalen und ästhetischen Werte jenseits der Ladenregale und Webseiten von heute bin.

“Dinge” sind nur Sachen, vor allem, wenn es zu viele sind, zu alte, kaputte, eine nutzlose Last, überflüssig, gefährlich, dysfunktional und teuer. Aber diejenigen, die ihre Sachen kennen und lieben sollten die Macht haben, sie zu erhalten.

Eine Lampe ist ein Ding für das Stromnetz, aber es ist ebenso die Lampe meiner Großmama, die sie leuchten hatte, während sie meiner Mutter die Brust gab. Die Wanduhr meines Großvatersist eine genaue, schwerkraftgetriebene Maschine, aber es ist auch ihre Gegenwart im Hause, die alle fünfzehn Minuten eine Melodie in meines Vaters Kindheit spielen lies.

Wiedergefunden auf dem Dachboden, wiederverwendet mit etwas Hilfe der freundlichen Geeks. Frauen denken unterschiedlich, und wann immer die Box der Technologie bröckelt und bricht, tröpfeln Märchen von Zauberstöcken, selbstfahrenden Kürbiskutschen und gläsernen Schuhen heraus. Warum sollten wir die Asche fegen, warum auf den fernen Prinzen der Technologie warten, der diesen Apparat deinem zierliches Füschen anzieht?

Design Fiction Workshops können den Standpunkt einer Frau sichtbar machen: Warum in der Asche am schmutzigen Herd warten, statt Liebe zu finden und ein Königreich zu erobern. Freude und Hoffnung bringt es uns, Träume besser zu machen.

Die Atombombe war eine Ausgeburt der Märchenwelt – ein Monster, “der Tot, der Weltenzerstörer” – aber auch wenn wir unter der Wirklichkeit unserer eigenen Erfindungen leiden, so träumen wir doch. “Technolgie ist neutral”, das sagen sie, als ob Technologie unabhängig von unserer Vorstellung davon wäre, von unseren Modellen davon, unseren Wolken und Schachteln. Aber Technolgie ist niemals neutral, da Technolgie – anders als die menschliche Natur aus dem Stoff der Träume sich erhebt, und es gibt keine neutralen Träume.

7. Vielfalt

Ein Haus ist ein Habitat, ein Heim, eine kleine Welt, ein Element im gesellschaftlichen Kosmos, eine Krippe und eine Zufluchtsstätte. Ein Haus ist zu allererst die Zufluchtsstätte von Frauen mit kleinen Kindern, und der Greise. Diejenigen, die das Haus am meisten nutzen und des Hauses am stärksten bedürfen, sollten eine Rolle spielen, es zu gestalten und zu unterhalten.

Haushaltstechnik, “Domotik”, soll die Selbstbestimmtheit der Menschen erweitern, die in dem Haus wohnen, und nicht im Namen von lockenden Profiten ihre Schöpferkraft beschneiden. Senioren stellen eine ständig wachsenden Teil der weltweiten Zivilisation, eine Entwicklung, die keine Anzeichen von Schwäche zeigt, während die Armen wie üblich überall zu finden sind, oder besser gesagt, die Armen sind überall zu finden, wo sie hingehen dürfen. Kinder, die große, neue Minderheit der Welt, sind weniger in der Zahl, ausgegrenzt von den Machtressourcen der Erwachsenen, oder sogar missbraucht in den lieblosen, befehlsgesteuerten Systemen.

Das sind die Bedürftigen des IoWT: Deren Würde und Fähigkeit müssen wir schützen, sie ermächtigen, und ihnen Anteil verschaffen, während sie zu ihrem verlängerten Erwachsenenleben heranwachsen. Die Wirtschaftskrise hat die alten Modelle von Immobilien und Behausung in Gefahr gebracht und die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, die zuvor ihre verborgenen Überlebensnischen besetzen konnten, sehen diese Orte zunehmend vollständig auf den Markt geworfen und globalisiert.

Wir sollten die extremistischen Geschäftsmodelle nicht gewähren lassen, den Charakter der Viertel und Städte niederzureißen. Das ist der Lauf in Entfremdung und ein Weg ins Nirgends, während es Not täte, den Umgang gesitteter zu gestalten und die Lebensqualität zu verbessern. Kulturelle Stärken und Unterschiede werden die zukünftige Überlebensfähigkeit der Städte festlegen, und nicht abgehobene Vektoren von Geld und Macht, diej gelegentlich an die Oberfläche zucken und wieder versinken.

Städte rund um den Erdball unterscheiden sich grundlegend, und auch ein standardisiertes elektronisches Daten-Protokoll wird die Welt nicht zu einer Scheibe machen. Die Art und Weise, auf die ein Italiener seinen Kaffe macht, ist ein geheiligtes Ritual, das bekräftigt werden sollte, statt es weg zu optimieren; und wir sollten die Unterschiede Loben und Preisen, in denen die Briten ihren Tee bereiten. Wie eine Serbin ihr Brot eigenhändig backt, vermittelt einen Stolz, den eine Desktop-basierte Brotbackmaschine ihr niemals schenken könnte.

Home Automation ist Jahrzehnte alt und oftmals gescheitert, oft genug, ein Science-Fiction Museum mit archaischen, stromlinienförmigen Druckknöpfen zu füllen. Aber ein Mangel an Engagement ist keine Bequemlichkeit und Trägheit kein Wohlstand, und zu viele Mouse-Klicks, genauso wie zu viele Diener, können das Leben seiner Intimität und Würde berauben. Netze und Systeme, die in undurchsichtiger Weise verbunden sind, welche die digitalen Entscheidungen tarnen, können auf spektakuläre Weise ausbrennen. tausend vernetzte Computer, die sich in einander verworren in den Absturz ziehen, während sie wie kletten aneinander hängen, wie kein einzelstehender Computer es jemals tun würde. Wenn jedes Ding ungeordnet and hundert anderen hängt, wie werden wir aufhalten, was unsere Fehler verursachen, wie werden wir unser Bedauern zum Ausdruck bringen und Verbesserungen vorsehen? Wenn wir uns vor unseren Bedürfnissen und Wünschen hinter Ketten aus Software verstecken, wie können wir dann überhaupt wissen, ob wir erfolgreich waren?

Und jetzt habe ich eine letzte Frage, eine offene Frage, die ewige Frage, keine Frage für eine einzelne Antwort, für mein Casa Jasmina Brainstorming.

Fühlt ihr diesen Gender-Graben, so wie ich? Es fehlt mir nicht an Unterstützung fähiger, männlicher “Jasminer”, aber ich brauche Frauen, die zu mir kommen, mit mior sprechen. Danke!

Jasmina Tesanovic in der CasaJasmina
Torino im April 2016


[1] Jasmina Tešanović ist Feministin und politische Aktivistin (Women in Black; CodePink). Sie ist Schriftstellerin, Journalistin, Musikerin, Übersetzerin und Regiseurin. 1978 brachte sie die erste feministische Konferenz in Osteuropa nach vorne, “Drug-ca Zena” (in Belgrad). Gemeinsam mit Slavica Stojanovic entwickelte und entwarf sie das erste feministische öffentliche Haus auf dem Balkan, “Femeinist 94”, das zehn Jahre bestehen blieb. Sie verfasste das “Diary of a Political Idiot”, das in zwölf Sprachen übersetzt wurde: Ein Kriegstagebuch in Echtzeit, dass sie während der Kosovo-Krise 1999 niederschrieb. Seit dieser Zeit veröffentlicht sie ihre Arbeiten auf Blogs und anderen Medien, stets verbunden mit dem Internet.

Mehr dazu: ‘Casa Jasmina‘.

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Erinnerungen an Ulrich Beck

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Wir hatten uns irgendwie aus den Augen verloren.

12 Jahre lang waren die Theorien und Ideen von Ulrich Beck eine Art Lebenspartner für mich gewesen. Überhaupt war Ulrich der Grund gewesen, dass ich 1997 mein Chemie-Studium aufgegeben und in die Soziologie gewechselt bin (kurioserweise von einem Beck zum anderen). Seine Vorlesung über die “Sozialstruktur der BRD” in der Großen Aula der LMU München war meine erste Begegnung mit der Soziologie. Was für eine furiose Begegnung!

Während andere Professoren ihre Vorlesungen mit den einfachsten Grundbegriffen und Statistiken begannen, die man auch aus der Tageszeitungslektüre kannte (und die auch nicht mehr Anregung lieferten), stieg Ulrich mit einer Beweisführung ein, warum die Grundbegriffe der Ersten Moderne – Nationalstaat, Sozialstruktur, sozialer Wandel – längst überkommen seien und nur noch als Zombiebegriffe durch die Gegenwart stolperten. Der ein oder andere Erstsemester verließ mit rauchendem Kopf die Vorlesung, aber für mich war das genau das, was ich brauchte. Und der maximale Kontrast zur Chemie.

Meine Diplomarbeit setzte sich dann auch mit seinem Konzept der “Inneren Globalisierung” auseinander. Kern war die These, dass unsere Welt im Inneren längst sehr viel globalisierter und hybrider ist, als es äußerlich den Anschein hatte. Um Ulrich Becks Vermutung zu belegen, dass Großkonzerne sich gerade einem intensiven Prozess der Inneren Globalisierung unterzogen, tippte ich Zeile um Zeile aus den statistischen Jahrbüchern der United Nations Conference on Trade and Development ab, um sie dann statistisch zu analysieren. Das Ergebnis schaffte es dann immerhin als fast ganzseitiges Fußnotenzitat in sein Buch “Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter”.

Die Theorie der Inneren Globalisierung verwandelte sich dann im Sonderforschungsbereich 536 “Reflexive Modernisierung” allmählich in die Theorie der Kosmopolitisierung. Dabei zeigte sich einmal mehr, wie schnell Ulrich sich und seine Ideen weiterentwickelte – während sein Umfeld allmählich die Globalisierungstheorie und Reflexive Modernisierung verstanden und akzeptiert hatte, war er schon wieder einen Schritt weiter und hatte längst eine neue Dimension der Gesellschaftstheorie entdeckt. Mit Ulrich zusammenzuarbeiten hieß immer auch: soziologische Theoriebildung auf der Überholspur. Aber wenn man sich darauf einließ, konnte das schnell zu einem beidseitigen Anfeuern und Antreiben werden.

Nach dem Ende des Sonderforschungsbereichs 2009 verließ ich (fürs erste) die Wissenschaft und wechselte in die Wirtschaft. Einen wirklichen Abschied hat es damals aber nicht gegeben. Fünf Jahre habe ich die Münchener Soziologie dann nur noch am Rande verfolgt. Bis im September 2014 dann die Einladung zu einem Treffen aller ehemaligen Assistenten und Mitarbeiter von Ulrich Beck per Mail kam.

Die Gruppe traf sich – aufgrund des Bahnstreiks etwas dezimiert – im Fakultätssaal der LMU. Ich erzählte Ulrich, dass ich zwar nicht mehr in der Wissenschaft arbeite, aber trotzdem immer wieder Theoriebausteine, insbesondere der Kosmopolitisierungstheorie, in meiner praktischen Arbeit verwende. Mein Eindruck war, er freute sich sehr darüber, dass das kosmopolitische Projekt immer stärker auch außerhalb der akademischen Welt zum Leben erwacht. Außerdem stellten wir fest, dass wir mittlerweile wieder ein gemeinsames Thema hatten: die Frage, welchen immensen Beitrag das Internet und soziale Medien zur Kosmopolitisierung der Welt haben.

Auf einmal waren wir wieder mitten in einem lebhaften und produktiven Austausch mit vielen Telefonaten, Mails und Diskussionen über Big Data, Twitter-Analysen und memetische Kommunikation in seinem neuen Büro in der Schellingstraße. Im Dezember trafen wir uns dann in Paris auf dem Workshop seines neuen EU-Forschungsprojekts in der Fondation Maison des sciences de l’homme. Die Teilnehmer kamen aus Brasilien, England, Frankreich, China, Südkorea, Kanada oder Dänemark. Es war begeisternd zu sehen, wie aus Ulrichs Ideen ein globales Forschungsvorhaben geworden war – und er in dieser kosmopolitischen Forschungsgemeinde zu Hause war.

Ich verabschiedete mich von Ulrich mit dem guten Gefühl, dass dies der Anfang einer aufregenden neuen Phase der Zusammenarbeit sei. Gleich Anfang Januar wollten wir uns wieder treffen, um weiter an den “kosmopolitischen Daten” zu arbeiten. Dass mit einem Schlag aus der neuen Phase dann leider doch nur ein letztes Aufflammen geworden ist, tut sehr weh. Gleichzeitig bin ich aber unendlich dankbar für die letzten zweieinhalb Monate.

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