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Das Slow Media Manifest

(Übersetzungen/translations/traductions)

Kurzversion

Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, den so genannten Nuller-Jahren, haben sich die technologischen Grundlagen der Medienlandschaft tiefgreifend verändert: die wichtigsten Schlagworte lauten: Vernetzung, Internet und soziale Medien. Im zweiten Jahrzehnt wird es weniger darum gehen, neue Technologien zu finden, die das Produzieren von Inhalten noch leichter, schneller und kostengünstiger gestalten. Stattdessen wird es darum gehen, angemessene Reaktionen auf diese Medienrevolution zu entwickeln – sie politisch, kulturell und gesellschaftlich zu integrieren und konstruktiv zu nutzen. Das Konzept “Slow” – Slow wie in Slow Food und nicht wie in Slow Down – ist ein wichtiger Schlüssel hierfür. Analog zu Slow Food geht es bei Slow Media nicht um schnelle Konsumierbarkeit, sondern um Aufmerksamkeit bei der Wahl der Zutaten und um Konzentration in der Zubereitung. Slow Media sind auch einladend und gastfreundlich. Sie teilen gerne.

1. Slow Media sind ein Beitrag zur Nachhaltigkeit: Nachhaltigkeit bezieht sich auf die verwendeten Rohstoffe und Prozesse und die Arbeitsbedingungen, auf deren Grundlage ein Medium produziert wird. Ausbeutung und Niedriglohnsektoren können ebenso wie das bedingungslose Ausschlachten der Nutzerdaten keine nachhaltigen Medien zum Ergebnis haben. Zugleich bezieht sich der Begriff auch auf den nachhaltigen Konsum von Slow Media.

2. Slow Media fördern Monotasking: Slow Media lassen sich nicht nebenbei konsumieren, sondern provozieren die Konzentration der Nutzer. So wie die Herstellung eines guten Essens die volle Aufmerksamkeit aller Sinne eines Koches und seiner Gäste erfordert, können Slow Media nur in fokussierter Wachheit mit Genuss konsumiert werden.

3. Slow Media zielen auf Perfektionierung: Slow Media zeichnen sich nicht notwendig dadurch aus, dass sie etwas ganz Neues auf dem Markt darstellen. Viel wichtiger ist der Aspekt eines immer weiter verbesserten und bewährten Benutzerinterfaces, das robust, zugänglich und perfekt auf die Mediennutzungsgewohnheiten der Menschen zugeschnitten ist.

4. Slow Media machen Qualität spürbar: Slow Media messen sich selbst in Produktion, Anmutung und Inhalt an hohen Qualitätsmaßstäben und heben sich dadurch von ihren schnellen und kurzlebigen Pendants ab. Sei es durch eine hochwertige Oberfläche oder ein ästhetisch begeisterndes Layout.

5. Slow Media fördern Prosumenten – Menschen, die aktiv bestimmen, was und wie sie konsumieren und produzieren wollen: An die Stelle des passiven Konsumenten tritt bei Slow Media der aktive Prosument, der von seiner Mediennutzung zu neuen Ideen und Handlungen angeregt wird. Randnotizen in einem Buch oder angeregte Diskussionen über eine Platte mit Freunden sind gute Zeichen hierfür. Slow Media inspirieren, wirken in dem Denken und Handeln der Nutzer nach und sind auch noch Jahre später spürbar.

6. Slow Media sind diskursiv und dialogisch: Sie suchen ein Gegenüber, mit dem sie in Kontakt treten können. Die Wahl des Mediums ist dabei zweitrangig. Das Zuhören ist bei Slow Media ebenso wichtig wie das Sprechen. “Slow” bedeutet hier: aufmerksam und zugewandt sein und auch eigene Positionen aus einer anderen Perspektive betrachten und hinterfragen zu können.

7. Slow Media sind soziale Medien: Um Slow Media bilden sich lebendige Gemeinschaften oder Stämme, gleich ob es sich um einen lebenden Autor handelt, der mit seinen Lesern in den Austausch tritt, oder einen verstorbenen Musiker, um dessen Musik sich eine aktive Deutungsgemeinschaft bildet.So fördern Slow Media die Vielfalt und respektieren kulturelle und lokale Besonderheiten.

8. Slow Media nehmen ihre Nutzer ernst: Slow Media treten ihren Nutzern selbstbewusst-freundschaftlich gegenüber und haben ein gutes Gespür dafür, für wieviel Komplexität und Ironie ihre Nutzer bereit sind. Slow Media sehen weder belehrend auf ihre Nutzer herab noch begegnen sie ihnen unterwürfig-anbiedernd.

9. Slow Media werden empfohlen statt beworben: Der Erfolg von Slow Media liegt nicht in einem überwältigenden Werbedruck auf allen Kanälen, sondern in den Empfehlungen in Freundes-, Kollegen- und Familienkreisen. Ein Buch, das man sich fünfmal kauft, um es an die besten Freunde zu verteilen, ist ein gutes Beispiel dafür.

10. Slow Media sind zeitlos: Slow Media haben eine hohe Lebensdauer und wirken auch nach mehreren Jahren oder Jahrzehnten noch frisch. Sie verlieren mit der Zeit nicht ihre Qualität, sondern bekommen allenfalls eine Patina, die den gefühlten Wert sogar steigern.

11. Slow Media sind auratisch: Slow Media strahlen eine besondere Aura aus. Sie erzeugen in dem Nutzer das Gefühl, dass das Medium genau in diesen Augenblick seines Lebens gehört. Auch wenn Slow Media industriell erzeugt sind oder teilweise auf industriellen Produktionsmitteln basieren, vermitteln sie den Eindruck von Einmaligkeit und weisen über sich selbst hinaus.

12. Slow Media sind progressiv, nicht reaktionär: Slow Media bauen auf ihren technischen Errungenschaften und der Lebensweise in der Netzwerkgesellschaft auf. Gerade durch die Beschleunigung in zahlreichen Lebensbereichen werden Inseln der bewussten Langsamkeit möglich, aber auch überlebenswichtig. Slow Media sind kein Gegensatz zur Geschwindigkeit und Gleichzeitigkeit von Twitter, Blogs und Social Networks, sondern eine Haltung und Art sie zu nutzen.

13. Slow Media setzen auf Qualität – sowohl in der Produktion wie bei der Rezeption von Medieninhalten: Kulturwissenschaftliches Handwerk wie Quellenkritik, die Einordnung und Gewichtung von Informationsquellen, gewinnt gerade mit der zunehmenden Verfügbarkeit von Informationen an Bedeutung.

14. Slow Media werben um Vertrauen und nehmen sich Zeit, glaubwürdig zu sein. Hinter Slow Media stehen echte Menschen. Und das merkt man auch.

Stockdorf und Bonn, den 02.01.2010

Benedikt Köhler
Sabria David
Jörg Blumtritt

CC BY-NC You are welcome to share, translate and repost the manifesto. Please send us a link so we can link to your translation.

Hier geht es zu unserem Slow Media-Blog mit Beispielen von und Geschichten über nachhaltige und inspirierende Medien.

Literatur zum Thema:
http://www.huffingtonpost.com/elissa-altman/move-over-slow-food-intro_b_367517.html
http://marketplace.publicradio.org/display/web/2009/11/17/pm-slow-media/
http://www.huffingtonpost.com/arianna-huffington/announcing-my-first-pick-_b_310544.html
http://blog.oup.com/2008/11/slow_blog/
http://www.shep.ca/?p=132
http://blog.stuttgarter-zeitung.de/?p=5122
http://www.giarts.org/library_additional/library_additional_show.htm?doc_id=448395

195 replies on “Das Slow Media Manifest”

[…] 9. Slow Media werden empfohlen statt beworben: Der Erfolg von Slow Media liegt nicht in einem ueberwaeltigenden Werbedruck auf allen Kanaelen, sondern in den Empfehlungen in Freundes-, Kollegen- und Familienkreisen. Ein Buch, das man sich fünfmal kauft, um es an die besten Freunde zu verteilen, ist ein gutes Beispiel dafuer. source […]

[…] Das Slow Media Manifest: Soll ich lachen oder weinen? Nach dem kurzen Aufflackern des Internet Manifest der ehemaligen Web-Prominenz versuchen nun etwas “unbekanntere” Social Media Experten wie Benedikt Köhler (isarrunde) und Jörg Blumtritt (Tremor Media) den Ruf des Web 2.0 als Marketing Plattform vor dem schulmeisterlichen Tadel des Schirrmacher zu retten. Da Schirrmacher aber nichts Substanzielles hervorbrachte, gibt es auch keinen Grund, das Web vor ihm und seinesgleichen zu retten. Monotasking? Aura? Klangschale? Es ist eine Kommunikationsplattform, das war auch schon vor dem Jahr 2000 so. Nur nutzten es damals noch nicht so viele Menschen auf diese Weise – auch das mobile Internte als Realtime Web schlechthin wird diese Funktion nicht behindern oder fördern (Social Media Marketing erst recht nicht). Es gibt immer noch Wochenmärkte – trotz der Geschäfte und Supermärkte. Hier noch Marcus Böschs (blogschau der Deutschen Welle) Senf zum Slow Media Manifest. […]

* >Das Konzept “Slow”< — slow ist eine Eigenschaft – vielleicht sollte man ein Wort aus der Muttersprache benutzen, wenn man die Fremdsprache nicht beherrscht

* Punkt 1: Wie sollen Medien "nachhaltig" produziert werden? Medien, insbesondere die elektronischen Medien, sind de facto nicht nachhaltig. Vielleicht haben Sie schon einmal davon gehört, dass ein einfacher Google-Aufruf soviel Strom verschwendet, wie eine Glühbirne, die einen Tag lang brennt. Also dürfen die Journalisten für ihre slowen Artikel, wenn man den Begriff "nachhaltig" so benutzt, wie er ursprünglich gemeint ist, am besten gar nicht erst im Internet recherchieren und am besten dort ebenso wenig publizieren.
Und wie soll man Medien nachhaltig konsumieren? Soll man langsamer lesen, die Medien sozusagen "sacken lassen"? Darstellungsformen wie etwa die Nachricht funktionieren einzig und allein als schnelle Texte, die man schnell konsumiert, um sich schnell zu informieren. Soll man diese künftig "slow" lesen oder gar beseite lassen?

* Punkt 2: Sieht man einmal von irrsinnigen anglizistischen Wortschöpfungen wie Monotasking und unsinnigen Konstruktionen wie "fokussierter Wachheit" ab, stellt sich hier die Frage, welche Medien überhaupt jemals "nebenbei" mit Erkenntnisgewinn konsumiert wurden. Klar gibt es Studien, die etwa belegen, dass die Zuschauer der Tagesschau nicht einmal einen Bruchteil der Informationen aufnehmen. Aber das liegt dann eben nicht an der Tagesschau (am Medium), sondern an den Rezipienten, die weggedämmert/"nebenbei" konsumieren. Das Medium wird dieses Problem folglich nicht lösen können.

* Punkt 3: Was soll hier der Scheingegensatz zwischen etwas Neuem und dem Benutzerinterface. Heißt das also: Auch der alte Schuh ist interessant, wenn es er das richtige Benutzerinterface hat? Was zum Kuckuck soll dieses Benutzerinterface sein? Etwa die Gehirnschnecke (um beim Bild der Langsamkeit zu bleiben), die immer weiter darauf optimiert wird, saugend den richtigen Nachrichtenslang für das Gehirn herauszuschmecken?

* Punkt 4: Wozu braucht es Slow Media, wenn selbst kurzlebige Formate heute ewig leben? Und hier greift eine einfache Binsenweisheit des Journalismus, die jeder kennen sollte: Es gibt nicht die eine Qualität. Was für das Publikum der RTL2-Nachrichten eine hohe Qualität ist, hat für die Hörer des Deutschlandfunks nicht einmal ansatzweise Qualität. Wenn Elite-Medien sich andererseits aber länger behaupten, liegt es vielleicht eher daran, dass ein Grundstock an Eliten zu jeder Zeit vorhanden ist – die anderen Schichten gehen jedoch mehr mit der Zeit und finden im Gewusel der Möglichkeiten zu jeder Zeit einen anderen Weg, sich zu informieren.

* Punkt 5: Es macht keinen Sinn, die Attribute "aktiv" und "passiv" zur Zuspitzung zu verwenden. Es gibt schließlich auch aktive Konsumenten, oder? Aber es klingt wunderbar, dass Sie Medien entwickeln wollen, die auch noch "Jahre später spürbar" sind. Genau genommen gibt es die aber schon: Religionen. 😉

* Punkt 6: Medien brauchen immer ein Gegenüber. Allerdings wissen die Medien nicht, welches Medien vom Gegenüber am besten verstanden wird. Es sei denn, jedes Medium ist auch gleichzeitig ein Metamedium, dass sich wie ein Chamäleon verändern kann, wenn der Diskurs beim Gegenüber nicht ankommt, wenn der Dialog scheitert. Einen Dialog zu erwarten, ist ohnehin Unsinn, denn wenn unendlich viele Dialoge mit dem Gegenüber zustande kämen, bräuchte es unendlich viele Journalisten. Das Gegenteil ist aber unsere Gegenwart.

* Punkt 7: Irgendwie ist es schwer nachvollziehbar, wie dieser Wanderzirkus, der auch als soziale Medien bekannt ist, etwas mit nachhaltigen und beständigen Werten zu tun haben soll. Klar können die Slow Media einfach immer mitwandern, allerdings sind sie dann wohl eher weniger Medien, die das Kurzweilige überdauern.

* Punkt 8: Zwischen "ernst nehmen" und intelligent sein liegt ein Unterschied. Ein Medium kann per se nicht entscheiden, ob ein beliebiger Konsument X fähig ist, Komplexität oder Ironie zu verstehen. Das kann nur der jeweilige Konsument. Er wird sich also die Medien suchen, die er versteht oder über die er lachen kann. Der umgekehrte Weg ist so unwahrscheinlich wie das in naher Zukunft künstliche Intelligenz entsteht.

* Punkt 9: Man muss ein Buch nicht fünf Mal kaufen, um es an Freunde zu empfehlen. Genau genommen muss man es nicht ein einziges Mal kaufen, um es zu empfehlen. Man kann es auch einfach so empfehlen, ohne es gelesen zu haben. Und daran krankt wiederum dieser Ansatz. Empfehlungen bedeuten alles oder nichts. So wie die Bewertungen von externen Festplatten bei amazon.com. Weiteres Problem: Wenn es nur noch das Empfehlungswesen der peer groups gebe, ist der einzelne nur so schlau oder dumm wie sein Umfeld. Nicht sehr erstrebenswert.

* Punkt 10 funktioniert wiederum nur, wenn die Zeit stehen bleiben würde. Da die Zeit die Menschen und ihre Sprache verändert, wird es kaum möglich sein, dass Slow Medien diesen Veränderungsprozessen nicht ausgesetzt sind. Slow Medien sind also am Ende doch nur so frish wie Omis Gebeine.

* Punkt 11: Bitte konkretisieren Sie hier, wie Einmaligkeit erreicht werden soll? Die FTD wird zwar auf rosa Papier gedruckt, aber deswegen ist jedes Einzelexemplar noch lange nicht einmalig. Ein iGoogle-Bildschirm hingegen ist immer nur so einmalig, wie die Möglichkeiten, die Google der Einmaligkeit vorgibt. Und was soll das "über sich selbst hinausweisen"? Soll diese Klausel die Einmaligkeit dann doch relativieren?

* Punkt 12: Progressiv bedeutet zwangsweise auch Beschleunigung. Klar kann Slow Media sich auch altweise der neuen Kanäle wie Twitter bedienen. Wie sehe das dann aus: ein Tweet im Jahrhundert? Jedes Medium hat seine eigene Geschwindigkeit – mit Slow Media im Sinne eines Metamediums lässt sich diese auch nicht auf natürliche Art und Weise regulieren.

* Punkt 13: Sicher muss man das Rad nicht neu erfinden, denn seit je her sind die genannten Aspekte Gegenstand der seriösen Recherche. Auch wenn es genug "Journalisten" gibt, die dies nicht verstanden haben, bedeutet es umgekehrt aber nicht, dass ein brandneues Manifest diese Werte neu erfinden muss.

* Punkt 14: Gleiches gilt für die Glaubwürdigkeit (Vgl. 13.). Und dass hinter Medien Menschen stehen, ist sicher normal, schließlich kann auch Google News nur News, die von Menschen und nicht Computern gemacht wurden aggregieren.

“Slow Media fördern Prosumenten … Randnotizen in einem Buch oder angeregte Diskussionen über eine Platte …”

Die von Euch gewollte Mündigkeit hört also da auf, wo der “Prosument” aufhört, als Kunde (marktförmig) zu funktionieren.

Gähn.

Der Versuch einen Qualitätsstandard für den Umgang mit Internetmedien zu formulieren ist Euch für mein Dafürhalten absolut gelungen. Ein hoher Anspruch, Konsequenz und Qualitätssicherung sind grundlegende Eigenschaften eines hervorragenden Werkes, gleich in welchem Medium entworfen. Alles, was wir tun, sollte mit Hingabe erfolgen.

Bullshit Generator Content… – Soll am deutschen Wesen das Netz genesen? Wo bleibt die Mündigkeit des Users, der Informationen aufnimmt und verarbeitet wie er will, wann er wil, wo er will, so schnell er will, so oft er kann und will? Und wo die freie Reaktion des freien Marktes mit Anspruch auf ein eigenes Stück vom Kuchen?

Mit einer Prise Humor wäre der Witz vielleicht gelungen. Aber vermutlich ging’s ja nur um die 15 Minuten.

Pyrrhussieg hat sich viel Arbeit angetan und eine wirklich fundierte Kritik an dem Manifest geäußert.
Und wenn man die Punkte des “Manifestes” liest, muss man ja wirklich feststellen, dass da eigentlich nix wirklich besonderes ausgesagt wird.
Irgendwie kann man nur nicken udn sagen – na ja “klingt schön aber was ist nun wirklich die Aussage davon”.
Also ich find keine.

Das Slow Media Manifest oder Der Club der toten Dichter…

Nachdem uns das Netz zu schnell ist, kultivieren wir nun die Langsamkeit. Ein typisch deutsches Mißverständnis. Nachdem wir 2009 lernten, daß das Internet anders ist, und dafür 15 Journalisten brauchten, also 5 mehr als um eine Birne einzudrehen, lerne…

was sollen denn bitteschön “Produktion, Anmutung und Inhalt an hohen Qualitätsmaßstäben” sein? Und wodurch “heben sie sich dadurch von ihren schnellen und kurzlebigen Pendants ab” wer macht diese kriterien? wer sagt was qualitativ ist und was nicht? lächerlich.

[…] für ein paar Selbstverständlichkeiten. Und nun kommt die Gegenseite und verfasst ein slow media manifest, das die Qualität der traditionellen Medien der angeblichen Qualitätslosigkeit der neuen Medien […]

Das Slow Media Manifest, Teil 2 oder Mit heißer Nadel gestrickt!…

Nachdem ich gestern hier über das Manifest selbst berichtete, habe ich mir gestern Abend das zugehörige Blog angesehen. Schnell entsteht der Eindruck einer frappierenden Inkonsequenz, die höchstwahrscheinlich der allein medial-kommunikativen Provenienz…

Das Netz braucht solche Manifeste nicht! Das heisst nicht, das Langsamkeit etwas Schlechtes ist aber ein mündiger Netzbürger hält sich nicht an 14 Punkten fest sondern er bestimmt seine Geschwindigkeit selbst.

Auf Heise ist Hal Faber nicht beeindruckt: ‘ein schwachsinniges Slow Media Manifest, das daherkommt, als sei es auf dem Einwickelpapier von Manufactum gedruckt worden: “Slow Media sind auratisch”. Ja, es gibt sie noch, die gestelzten Dinge.’

Und wenn ich mich nicht irre, steht in dem altrechtschreiberischen Motto ein Komma zu viel (“beim Einzelnen,”).

@pan-pop Hal Faber macht eigentlich nur Spaß, wenn er von etwas nicht beeindruckt ist. Die Assoziationen sind allerdings nicht besonders originell. Siehe zum Beispiel diesen Tweet von jbenno zur Veröffentlichung des Manifests: http://twitter.com/jbenno/status/7334473744

Was das Komma betrifft: Wer den Minima Moralia nur ein Jota (oder eben Komma) hinzufügt …

Mit zunehmendem Abstand zum ersten Lesen des Manifests scheint sich für mich die diskursive Blase um ein neues (bzw. in den deutschen Sprachraum neu importiertes) Buzzword leider als eben solche zu erweisen: Vor allem Spannung an der Oberfläche. Medientheoretische bzw. -didaktische Gemeinplätze werden in modischer Manifest-Form unter neuem Label aggregiert, als “slow” bezeichnet und dann wird munter entlang einer neuen Unterscheidung operiert (“Medium x ist “slow” (d.h. “gut”), gdw. es Kriterium y erfüllt oder in Weise z gehandhabt wird.”).

Damit soll einigen Kerngedanken einzelner Thesen des “Manifests” in keiner Weise ihre Berechtigung abgesprochen werden, Qualität beispielsweise ist für viele Funktionen von Medien eine zentrale Forderung (ob für Journalismus im System der Massenmedien, für die Programme der Wissenschaft etc. – kontextabhängig und relativ zum jeweiligen Medium und seiner Funktion); ich frage mich nur, welche Funktion das Manifest selbst erfüllen soll, auf welches Problem es eine Antwort geben mag, kurz: wozu das alles? Dass es bei Veränderungen im Zuge des Wandels gesellschaftlicher Hauptverbreitungsmedien zu Irritationen kommt, ist bekannt. Dass Gesellschaften Wege finden müssen, mit diesen Herausforderungen umzugehen, sich auf sie “einzustellen”, ebenso. Und auch die Erkenntnis, dass Errungenschaften als Resultat der Beschäftigung mit und in vorangegangenen Medien nicht ad hoc über Bord geworfen werden, ist gleichermaßen sinnvoll wie offensichtlich (so wird Sprache nach gewissen Regeln benutzt – die zwar wandelbar sind, aber nie völlig aufgegeben werden). Das Schlagwort “slow media” als Alarmsignal, Gedächtnisstütze, normativ aufgeladenes Immunsystem? Ein heroisches Statement, das den mahnenden Zeigefinger nutzt – aber davor warnt?

Mein Fazit: Es wurde eine arbiträre Unterscheidung eingeführt, durchdekliniert und (wie auch anders?) in der Praxis bestätigt gefunden. Natürlich lässt sich so arbeiten (und man kann dann Luhmanns Zettelkasten oder ein Kochbuch in die neue Kategorie ein- oder aussortieren). Ein Schritt nach hinten (eine neue Unterscheidung, die eben jene erste beobachtet) offenbart dann aber genau diese Arbitrarität. Ich hoffe jedenfalls, hier noch ein paar Hintergründe zur Eurer Initiative zu erfahren. Vielleicht wird mir dann auch klarer, wie das Vorhaben “Slow Media Manifest” gemeint sein könnte… “slow” um der slowness Willen kann nicht die Antwort sein. Und absolute Qualität jenseits des jeweiligen medialen Kontextes auch nicht, oder?

Bin gespannt. Beste Grüße, Sebastian

[cross-kommentiert in “Slow Media als Diät” und “Das Slow Media Manifest”]

Was für ein dummer, mit dem Fremdwörterstolz Heranwachsender (“Adoleszierender”) fabrizierter Text – da hat jemand tief in die Trickkiste der Publizistik gegriffen ohne diese wirklich begriffen zu haben. Pfui Teufel. Dabei wäre das Anliegen ja richtig und vielleicht sogar wichtig in der Zeit, in der sich die Medien nicht mehr durch Werbung finanzieren lassen und sich damit die Frage stellt, welche Medien und welche journalistischen Bemühungen wir uns künftig noch leisten können.

Der dumpfe Hass mancher Zeitgenossen auf die Fremdwörter war schon Adorno aufgefallen. Ob man die Metapher aus “Minima Moralia” teilt, und sie als “Juden der Sprache” oder – vielleicht zeitgemäß heute als “Gastarbeiter der Sprache” benennt – das Motiv der Ablehnung bleibt suspekt.

@sebastian
Wir schlagen ja zweierlei vor: Zum einen die Entwicklung einer medienübergreifende Kategorie zur Bewertung und Nutzung von Medien. Wir möchten also nicht über die Instrumente (print, online, sonstige) sprechen, sondern über die Haltung, mit der man diese nutzt. Und zum anderen denken wir Produktion und Rezeption von Medien zusammen (inspirieren + inspiriert werden; aufmerksam rezipieren + aufmerksam produzieren).
Dafür gibt es noch keine fertige Schublade, da müssen wir neue Räume ausloten 🙂

@Sabria (No. 53):

Ich halte den Versuch einer solchen normativen Katalogisierung für irreführend, wenn nicht sogar die bloße Möglichkeit für einen offensichtlichen Trugschluss.

Es lässt sich zweifellos kontrovers über euer “Manifest” streiten (und genau das geschieht ja hier und zeitgleich in einigen anderen Blogs) – wenn das euer Ziel war (einen Diskurs zu initiieren, eine Kontroverse zu starten) – okay. Das kann man machen und das System der Massenmedien liebt Konflikte. Der bleibt aber mit Blick auf die Form an der Oberfläche; daher auch die “Blasen”-Metapher oder steigert sich dekontextualisiert in Anlehnung an Adorno in krude, moralisierende Vorwürfe (@jbenno, No. 52).

Also noch einmal, worum geht es jenseits der Form? Ein straffer Anforderungskatalog oder eine normative Todo-Liste für Medien (-umgang) muss mit Blick auf mediale Evolution irritieren: Woher soll eine “medienübergreifende Kategorie zur Bewertung und Nutzung von Medien” genommen (und vor allem: wie kommuniziert) werden? Moral? Ontologie? Gott? Nein. Gesellschaften (er-)finden Regeln, Ideen, Kategorien im Laufe der Nutzung neuer Medien (Co-Evolution), nicht weil sie ihnen diktiert werden. Zumindest sind mir für Sprache, Schrift oder Buchdruck keine entsprechenden Versuche bekannt…

“Woher soll eine medienübergreifende Kategorie zur Bewertung und Nutzung von Medien genommen (und vor allem: wie kommuniziert) werden?”

Das klingt für mich wie eine medientheoretische Neuauflage des Hummel-Paradoxes. Hummeln, so sagten der Legende nach die Aerodynamiker, sind nach den Gesetzen der Aerodynamik nicht flugfähig. So können dann auch ein Slow-Media-Manifest und seine Kategorien nicht existieren, weil nicht klar ist, woher diese genommen werden und wie diese kommuniziert werden. De facto sieht es aber so aus: Das Manifest gibt es und es wird (darüber) kommuniziert – ohne Rücksicht auf etwaige Irritationen in systemtheoretisch geschulten Bewusstseinen. Die Tatsache, dass nicht nur wir von Slow Media sprechen, sondern dass sich daraus mittlerweile eine breite Debatte – nicht nur in Deutschland, sondern auch in UK und USA – entwickelt hat, spricht dafür, dass die hier kommunizierten Unterscheidungen in der Gesellschaft auf Resonanz stößt. Genau hier stößt man dann auch auf die Co-Evolution. Ja, wir befinden uns mitten in einer solchen. Das scheint die Analyse nicht unbedingt leichter zu machen.

@benedikt (No. 55):

Ja, das Manifest gibt es. Und Kommunikation darüber auch (sie irritiert offensichtlich nicht nur systemtheoretische geschulte Bewusstseine, sondern auch viele anderweitig geschulte – eine Voraussetzung für Kommunikation). Daran ist nichts paradox – eigentlich wollte ich nur mitteilen, dass wir *nie* außerhalb eines Mediums kommunizieren [können]; die Forderung nach der “medienübergreifende[n] Kategorie” und diese selbst ist einem medialen a priori unterworfen, selbst nämlich immer schon medial. Die von euch geforderte Universalkategorie muss diesen Umstand berücksichtigen, sonst wäre sie keine. Sondern nur eine Illusion. Oder ein Taschenspielertrick. Dass kommuniziert wird – geschenkt! Aber worüber wird kommuniziert? Was rechtfertigt die universale Kategorie (wenn nicht die oben, No. 54, vorgeschlagenen “Moral? Ontologie? Gott?” oder ein “intelligent design” der Medienevolution?). Das sind die Fragen, auf die ich Antworten erhoffe und die für mich über Relevanz oder Irrelanz des Unterfangens entscheiden.

Ich danke Sebastian für seine schlauen und klug formulierten Fragen, die für mich sehr präzise das Problem beschreiben, das ich auch mit diesem Manifest – vielleicht aber sogar mit Manifesten überhaupt – habe. Kurz gesagt: Ich halte nicht viel von Appellen, weil ich ihnen nicht besonders viel zutraue. „Appellitis“ hat Luhmann (nicht der Holzhändler) das genannt und darin spöttisch eine Krankheit diagnostiziert: „[…] im Prinzip harmlos, keinesfalls lebensgefährlich; aber für den, der davon befallen ist, zeitweise doch recht schmerzhaft. Man sieht das an eigentümlichen Zuckungen und an der Heftigkeit und Insistenz, mit denen der Kranke agiert und andere anzustecken versucht.“

Noch einige durch Sebastian angeregte vorläufige Anmerkungen (nicht streng systemtheoretisch durchgeführt): Ich denke, daß die Unterscheidung “slow”/”fast” ganz grundsätzlich in die Irre führt – oder zumindest nichts zur Präzisierung des Problems bzw. der Funktionsweise “neuer” Medien beiträgt. Man kann, darauf wurde ja auch schon oft genug verwiesen, langsam twittern oder schnell, und schon den Mönchen im Mittelalter war zuzutrauen, eine Handschrift auch mal schneller runter- bzw. rauszuhauen anstelle Monate an einem einzigen Buchstaben herumzuzeichnen. Geht es nicht vielmehr um die Frage, die dann allerdings gar keine neue (sondern typisch massenmediale) wäre: Wie läßt sich “Neues” oder gar “Relevantes” sagen – unter den allerdings neuen Bedingungen eines anderen Verbreitungsmediums, das die Unsicherheiten darüber weiter erhöht, ob das Neue nicht schon x-fach gesagt wurde oder das vermeintlich Relevante wirklich relevant sei (und für wen)? Wer sollte darüber entscheiden, wenn die Anschluß- und Irritationsmöglichkeiten durch das neue Verbeitungsmedium “Netz” exponentiell gestiegen sind – und also potentiell beinahe “jeder” darüber mitentscheiden kann?

Ich lese das Manifest also viel eher als Ausdruck einer reichlich diffusen Sehnsucht nach einer Prämoderne, die es so wohl auch nie gegeben hat – auch wenn die Manifestautoren wieder und wieder betonen, “slow” mit allen “fasten” Mitteln der Zeit sein zu wollen. Sehnsucht nach moralisch codierten, also “guten” Autoritäten, die Irritationsüberschüsse abbauen und damit – von vielen bestimmt gewünschte – Entlastungsfunktionen anbieten. Eine Art Manufactum im Netz (aber interessanterweise scheint auch dieser Katalog immer dicker zu werden und mithin: unübersichtlicher). Dieser Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, ist im Genre der sog. “schönen Literatur” übrigens schon zu den vergleichsweise slowen Zeiten der frühen 1980er Jahre Sten Nadolny gelungen: “Die Entdeckung der Langsamkeit” heißt das Buch, das mich mit den Mitteln der Kunst unterhält, anstelle mich mit den Mitteln der Moral belehren zu wollen.

Wenn es nur um die Anregung gehen sollte, sich bei dem, was man tut, anzustrengen und um Qualität zu bemühen (also zum Beispiel auch bei Tweets und in Blogs die Regeln der Rechtschreibung und Grammatik zu beachten – ein Hinweis, der ausdrücklich nicht gezielt auf die Manifestautoren gemünzt ist), dann muß man nicht so viele Worte machen. Dann genügt es mal wieder, sich an Bielefelder Phantome zu halten, wie bereits getwittert: “Es muß gut gemacht sein.” Dem könnten bestimmt auch Lüneburger Holzhändler Luhmann zustimmen. (Danke an @PBBMarx für den ironischen Hinweis.)

Und ein kluger, fingerfertiger Taschenspieler ist mir allemal lieber als ein erhobener Zeigefinger.

Nichts für ungut, viele Grüße,

Stefan

[cross-kommentiert bei http://www.slow-media.net/manifest/ sowie bei http://autopoiet.de/post/330731247/slw%5D

@Sebastian und Stefan Sippell passim

Der Aufruf zu Slow Media und die Anmaßung, die (Medien)Welt in ‘slow’ und ‘fast’ einteilen zu können, ist ein Akt der Willkür. Es ist ein Urteil, sogar ein Geschmacksurteil, also willkürlich im Gegensatz zu apodiktischen Aussagen, die sich auf biologische, psychologische oder sonstige Naturgesetzlichkeiten berufen können. Wir haben auch keine Welle empirischer Sozialforschung laufen lassen und unsere Forderungen aus den dabei gewonnenen Daten induziert. Eine Universalkategorie, wie behauptet, sind Slow Media nicht; genausowenig, wie “Barockliteratur” oder die Sterne im Guide Michelin.

Willkürlich bedeutet aber nicht hermetisch oder vollständig subjetiv. Sinngemäß sind solche Thesen in den letzten Wochen von ganz unterschiedlichen Menschen zum Teil sehr prominent artikuliert worden und schließlich gibt es auch expliziten Zuspruch zu unserem Text.

Zur Frage, ob Moral? Ontologie? Gott?” oder ein “intelligent design” der Medienevolution? – mit Tyler Brule: göttlich.

Der Aufruf ist getragen von einer “Sehnsucht nach einer Prämoderne, die es so wohl auch nie gegeben hat”. Es ist ein romantisches Konzept, dass nach einer vorindustriellen (um nicht zu sagen handwerklichen) Medienproduktion im Zeitalter der Kulturindustrie verlangt. Dieses Sehnsuchtsmoment bewegt nicht speziell unser Manifest, sondern erzeugt in Gegensätzen von Natur/Kultur, Land/Stadt, Handwerklichkeit/Industrieproduktion, Kunstfertigkeit/Technologie eine Spannung, die, spätestens seit dem 19. Jahrhundert, die künstlerische Auseinandersetzung in Mitteleuropa antreibt.

Ein Wort zum Vorwurf, meine Reaktion auf #52 sei krude: immerhin werden wir da als “dumm” abgekanzelt und mit “Pfui Teufel” beschimpft. Da sehe ich mich von der Verpflichtung zu differenzierter Antwort entbunden.

@jbenno (No. 60):

Danke für die Antwort. Einzelne Thesen halte ich ja auch für angebracht und dafür ist es für mich unerheblich, ob sie nun von ein, drei oder hundert Menschen postuliert werden. Quantität allein macht keine sinnvolle Begründung aus. Und auch die paternalistisch-“göttliche Stimme” Brûlés halte ich auf der Suche nach Gründen für wenig zweckdienlich.

Zur Universalkategorie: Ich möchte Euch diese natürlich keineswegs unterstellen, wo sie nicht explizit gefordert ist (aber zumindest Sabrias Aussage, No. 53, legte diesen Schluss für mich nahe; zudem müsst ihr drei UnterzeichnerInnen ja nicht jede Konsequenz des Manifests in gleicher Weise teilen). Wenn es denn unterm Strich die “Sehnsucht” war, die Euch das Manifest schreiben ließ – sei’s drum. Ich ahne, worum es Euch ging und halte den (unterstellten) Kern für nicht falsch – in der gewählten Form ist das Manifest für mich allerdings wertlos (mit Blick auf einzelne medientheoretische Fragestellungen sogar reaktionär). Vielleicht bin ich zu wenig Romantiker…

Post scriptum: Mit einem strukturellen Antisemitismusvorwurf kühlt man Diskussionen i.d.R. nicht ab. Ich persönlich halte das als Reaktion auf ein schlichtes “dumm” auch für überzogen – aber das ist eine ganz andere Geschichte.

@jbenno. Adorno? Das war doch der, dessen Frau allmorgendlich beim Bäcker oder Fleischer vermeldete “Theo hat heute wieder einen ganz tollen Satz geschrieben”, oder?
Ist natürlich auch soziologisch interessant, wenn nicht gar relevant, wer hier alles für son Schrieb herhalten muß.

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