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Social Media statt Peer Review

Die Diskussion über die Plagiate in der Doktorarbeit von zu Guttenberg war, das habe ich schon deutlich gesagt, meiner Meinung nach falsch gelagert. Viel zu oft wurde ein Einzelfall daraus hergeredet, wo ich überzeugt bin, in Wahrheit akademische Praxis dahinter zu erkennen.

Jetzt bekommt das Thema aber Fahrt, und es zielt, wie ich finde, genau richtig. Auf plagipedi.wikia.com beginnt die Aufarbeitung anderer Dissertationen in gleicher Weise, wie es bei Guttenberg zum Erfolg führte. Ob Merkel, Westerwelle oder Wiefelspütz – jeder ist verdächtig und soll gecheckt werden.

Warum sollte ein solches System nicht allgemein zur Qualitätssicherung wissenschaftlicher Veröffentlichungen Schule machen? Im Grunde handelt es sich um eine erweiterte Form der Peer-Review. Letztere krankt schließlich immer daran, dass nur innerhalb des Systems gearbeitet wird. Groß ist das Risiko, dass nur “anerkannte” (sprich etablierte und nicht wirklich neue) Gedanken von den Reviewern akzeptiert werden; und noch größer, dass “eine Krähe der anderen kein Auge aushackt” …

Also: Social Media Review als Grundlage für die Slow Thesis, die gute, wertvolle Doktorarbeit.

Mehr zum Thema:
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“Wir sind durch die Hölle gegangen”


Die Schule von Athen, nach Raffael, Paris um 1735, heute in der Aula der Akademie der Bildenden Künste, München.
Die Akademie in Athen, die Urform der Hochschule – ein Männerbund.

Initiation in eine geschlossene Gruppe von Menschen findet häufig ritualisiert statt. Solche Rites-de-Passage zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Clique, Gang oder Truppe sind häufig mit hohen psychischen und körperlichen Strapazen verbunden. Oft müssen Novizen rituell sterben, um vollwertige Männer des Ordens zu werden.

Nach durchleben dieser “harten Schule” stellt sich Glücksgefühl ein, man hat es geschafft, gehört jetzt endlich auch dazu. Durch diesen Effekt stabilisiert sich ein so geschlossenes System selbst. “Es muss doch zu etwas gut gewesen sein” – so die Rechtfertigung der gequälten vor sich selbst und anderen. “Ich musste auch durch die Hölle gehen, und es hat mir nicht geschadet” – damit verbietet sich Solidarität mit den Schwachen oder gar Sympathie für Kritiker. Der blutige Brei klebt die verschworenen Männerbünde zusammen, um mit Theweleit zu sprechen.
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Die deutschsprachigen Tweets in meiner Twitter-Timeline kennen seit gestern – bis auf ganz wenige Ausnahmen – nur noch ein Thema: Verteidigungsminister zu Guttenberg hat bei seiner Promotion abgeschrieben.

Völlig unabhängig, ob ich den CSU-Politiker mag oder nicht, finde ich die überwältigende Bestürzung mehr noch als die – für Twitter ja nicht ungewöhnliche Häme – äußerst befremdlich. Die Betroffenheit über eine angenommene Verletzung akademischer Regeln dominiert die Kommunikation – und nicht etwa die Ereignisse in Lybien oder Bahrain!

Um Himmelswillen, kommt mir in den Sinn – der Kaiser ist nackt! Wie konnte nur das System drakonischer Qualitätssicherung und Selbstgeißelung der deutschen Alma Mater so versagen! – Jeder neutrale Beobachter wird sofort denken: das machen am Ende alle so! Da wird jemand mit einer nicht-so-originellen Promotion nicht nur Doktor, sondern gar noch erfolgreicher Politiker! Wäre er an der Hochschule geblieben – kein Hahn hätte je danach gekräht, das glaube ich zumindest.

Ich kenne keinen anderen Berufstand, der so schamlos parasitär von der intellektuellen Leistung anderer lebt, wie die Professoren, die völlig selbstverständlich jede Zeile ihrer Veröffentlichungen von ihren Studenten, Assistenten und Mitarbeitern schreiben lassen und – obwohl für ihre Arbeit bereits durch Steuergelder entlohnt – auch noch die Tantiemen erhalten.
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Genug Universitäts-Bashing – ich will gar nicht erst auf die, von mir wahrgenommene Qualität der Forschung und Lehre an deutschen Hochschulen eingehen. Viel Interessanter finde ich die Frage, wie sich das System mit seinen eklatanten Mängeln so beharrlich stabil hält. Und da spricht die Entrüstung der Akademiker in der Causa Guttenberg eine deutliche Sprache. Um in Deutschland überhaupt promoviert zu werden, muss man in den meisten Fächern eine jahrelange Tortur überstanden haben, sich durch tausende von Seiten Literatur gearbeitet haben und gleichzeitig oft schlecht oder kaum bezahlte Frondienste für den betreffenden Lehrstuhl ableisten. Das Ergebnis ist in der Regel für den Nicht-Fachmann kaum als Fortschritt wahrnehmbar. Selbst in meinen Fächern fällt es mir meist schwer, die Leistung einer Promotion zu erkennen, wenn sie nicht genau in mein eigenes Interessesgebiet fällt.

Es muss doch zu etwas gut gewesen sein, die ganze Mühe! Es kann doch nicht sein, dass man am Ende es hätte auch einfacher haben können! Und statt die Regeln des akademischen Betriebs zu hinterfragen, die Sinnhaftigkeit, erwachsene, gut ausgebildete Menschen jahrelang im Zustand wirtschaftlicher Abhängigkeit und Ausbeutung zu halten, in Frage zu stellen – muss es sich hier natürlich um einen Einzelfall handeln. Der Rest vom System wird davon selbstverständlich nicht berührt.

Diese Reaktion erinnert an Menschen, die aus der Bundeswehr kommen, an Korps-Studenten, die über ihre Jahre als Fuchs schwärmen, oder an meinen Großonkel, wenn er von der Kriegsgefangenschaft erzählte.
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Es ist aber tatsächlich an der Zeit, eine neue Ausrichtung der Promotion zu fordern! Entweder man entschließt sich, wie in vielen anderen Ländern, das Niveau auf ein erträgliches Arbeitsmaß zu senken – und zwar in allen Fächern auf dasselbe! – Mehr als zwei bis drei Jahre darf eine Promotion einfach nicht dauern.

Oder die Dissertation wird systematisch zu dem aufgewertet, was sie ja angeblich sein soll: zu einer eigenständigen – originellen – wissenschaftlichen Arbeit. Dann können aber reine Literatursammlungen, Meta-Analysen oder Erbsenzählen nicht mehr ausreichen.

Es ist Zeit für die Slow Theses! Doktorarbeiten nicht als “Führerscheinprüfung” der Akademiker (Zitat von Benedikt), die man eben machen muss, um dazu zugehören, sondern als eine wertvolle wissenschaftliche und vor allem gesellschaftliche Leistung.