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Archäologie Fernsehen

Lob des Fernsehens

Hinreißend, wie Susanne Gaschke den neuen Slow-Media-Autoren Tom Hodgkinson in der Zeit inszeniert. Mit Bauern, alten Traktoren und alten Bauernhöfen. Letztere heißen natürlich nicht Bauernhof, sondern Farmhaus, weil das englischer und noch ein bisschen altmodischer klingt. Nach einer vergangenen Epoche, in der man in der Tramway einen Paletot getragen hat. Aber zur Sache. In dem Artikel geht es um Tom Hodgkinsons Kritik der spätkapitalistischen Lebensweise, die hier als “Fast-Food-Monokultur” bezeichnet wird.

Das kleine Theater von Pula
Das kleine Theater von Pula - dort gab es im Gegensatz zur Arena die niveauvolle Unterhaltung, nach der sich die meisten Bildungsbürger so sehnen

Die Lösung der Misere ist, wie bereits vor 700 Jahren von Petrarca beschrieben, die Entsagung des schnellen Stadtlebens und die Hinwendung zur naturnahen guten Lebensweise:

Hört auf zu jammern! Kündigt eure Jobs, arbeitet frei oder in Teilzeit! Lernt ein Handwerk, gründet ein Geschäft, baut Gemüse an, zerschneidet eure Kreditkarten! Zieht aufs Land, wo alles billiger ist. Backt Brot, spielt Ukulele!

So klingt das bei Hodgkinson.

[…] gutes Essen, gutes Trinken, gute Bücher, Freunde und Feste stehen im Zentrum seiner Ideen. Es geht ihm um eine Konzentration auf das Wesentliche. Und er behauptet, dass man sich all dies relativ mühelos leisten könne, wenn man sich von der Plastikwelt abwende, Bücher secondhand kaufe und sein eigenes Gemüse anbaue.

Villa Rustica auf den Brioni-Inseln
Die Reste einer Villa Rustica aus dem republikanischen Rom auf den Brioni-Inseln - So sieht Landleben aus, wenn man es richtig macht

So paraphrasiert Gaschke das noch einmal. Eigentlich ist dagegen nichts einzuwenden. Das klingt schon ziemlich nah an dem Slow-Media-Evangelium, das wir in diesem Blog und in unseren Veranstaltungen predigen. Leider fällt das Hodgkinsonsche Programm dann an einer Stelle rapide ab. Er meint (wiedergegeben durch Gaschke):

Weg mit Auto, teuren Reisen, iPods, Prada-Gürteln und vor allem: weg mit dem Fernsehapparat!

Da ist sie wieder. Die wohlfeilste Art der Vulgärmedienkritik, die mindestens seit der Geburt des Mediums ihr Unwesen treibt. Das Fernsehen ist die Wurzel alles Übels. Das Fernsehen ist der Kulturzerstörer schlechthin. Slow Media heißt in erster Linie, einen Schritt zurück zu treten, und mit etwas gesunder Distanz zu bewerten, welche Medien und welche Inhalte gut sind und welche schlecht. Ein ganzes Medium zu verdammen ist Fast-Food-Kritik.

Arena von Pula
Die Arena von Pula - Auch in Rom gab es natürlich schon Fast Media. Blut, Kampf und Sauferei für das gesamte Umland der kleinen römischen Kolonie

Jedesmal, wenn mir dieses bildungshuberische Totschlagargument unter die Finger gerät, bin ich fast schon versucht, mit einem Lob oder zumindest einer Apologie des Fernsehens zu reagieren.

Ich könnte darüber schreiben, wie das Bildungsmedium schlechthin – das Buch – als reinste Trashschleuder begonnen hatte. Der frühe Buchmarkt bestand fast ausschließlich aus okkultistischen Ratgebern, in denen man zum Beispiel erfahren konnte, wie man den Froschkönigen ihre Krone entwenden konnte oder wie man sich einen Zauberspiegel herstellt (dazu sehr lesenswert Doering-Manteuffels Studie über Das Okkulte) oder schnell dahingeschriebenen Romanen.

Oder ich könnte von der TV-Produktion La meglio gioventù (dt. Die besten Jahre) schwärmen, die ausgerechnet in dem Land hergestellt wurde, das dem totalitären, verblödenden Fernsehen, wie es die Vulgärmedienkritiker sehen, noch am nächsten kommt: Berlusconi-Italien.

Oder natürlich über Kir Royal schreiben, die Serie, die auch nach 25 Jahren kein bisschen Schärfe und Witz verloren hat. Oder über Leo Kirch und sein UNITEL-Vermächtnis der grandiosen Opernverfilmungen von Jean-Pierre Ponnelle. Ist das nicht der perfekte Schlussakkord, der die Fernsehverweigerer als Kulturbanausen entlarvt, die sich selbst um den Zugang zu Bildern wie diesen bringen? Lautstärke aufdrehen, Vollbild einschalten und Lang lebe das Fernsehen!

3 replies on “Lob des Fernsehens”

Obwohl ich mit dem Grundtenor einverstanden bin, muss ich an dieser Stelle doch mal darauf hinweisen, dass eine Sammlung von Anekdoten eine These weder Stützen noch widerlegen kann. Insofern hat dieser Beitrag in etwa das gleiche Problem wie die kritisierten Thesen von Hodgkinson: Guter Anfang, am Schluss leider etwas platt.

Ich würde der Aufzählung am Ende entgegnen, dass das eigentliche Problem des Fernsehens das charakteristische Nutzerverhalten ist. Die meisten Leute gucken Fernsehen zur Entspannung, aber grade dieses Medium erfordert nun mal erhöhte Wachsamkeit. Das ist nicht die Schuld des Fernsehens, aber sehr wohl sein Problem.

Das ist aber natürlich nicht Thema hier, insofern belasse ich es dabei.

… in der Werbung wird dieses charakteristische Nutzerverhalten als “Verfassung” hoch geschätzt: diese Rezeptionshaltung macht Fernsehen ja gerade zum unangefochten wirksamsten Werbemedium.

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