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Claus Kleber denkt Hajo Friedrichs neu

Das heute journal des 13. Februar wurde moderiert von Claus Kleber.  Es war eine denkwürdige Ausgabe des täglichen Nachrichtenjournals des ZDF. Hier ist die Aufzeichnung der Sendung, die nur noch wenige Tage im Internet nachzuschauen sein wird.

Es passiert dort ab min. 15.44 Folgendes: Nach den Nachrichten und dem Wetter kündigte der Moderator Claus Kleber einen Rückblick auf die historische Woche in Ägypten an. Es folgt ein gut einminütiger chronologischer Rückblick auf die bekannten Ereignisse, untermalt mit Musik. Wie um die Emotionalität der Bild- und Tonsprache zu rechtfertigen, sagt Claus Kleber in der Abmoderation: “Es war eine emotionale Woche”. Und schließt einen bemerkenswerten Satz an:

“Nehmen Sie es bitte als eine Verbeugung der Journalisten des Journals vor den Menschen, über die sie berichten durften.”

Der Satz klingt wie eine Gebrauchsanweisung für das ungewöhnliche Format. Vielleicht ist er auch eine Gebrauchanweisung für eine neue Art von Journalismus. Er markiert eine Wende im Selbstverständnis der konventionellen Medien. Zwar ist es formal recht moderat gelöst – der Rückblick lief nach dem offiziellen Nachrichtenformat und ist eher der Form des Kommentars zuzurechnen als der eines Berichts. Aber dennoch tut Claus Kleber hier nicht Geringeres als offen das Diktum des Hanns Joachim Friedrichs zu hinterfragen. Dieser hatte den bisher als unumstößliche Orientierungsmarke für Journalisten geltenden Satz gesagt:

“Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.”

Nun verneigt sich eine Redaktion in Respekt vor dem Sujet ihrer Berichterstattung – und hebt (wenn auch nur im Nachhinein) die Distanz zu der zu berichtenden Sache auf. Ich finde diesen Schritt des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preisträgers aus dem Jahr 2010 mutig und konsequent. Claus Kleber stößt damit eine Tür zu einem neuen Journalismus auf, der sich in Zukunft mit eben diesen Fragen befassen muss: Wie subjektiv darf Journalismus sein? Wieviel Mensch darf bzw. muss durch den Berichterstatter durchscheinen? Wie definieren wir Glaubwürdigkeit? Wie Objektivität? Gerade die Beteiligungsmedien des digitalen Raumes zwingen mit ihrer praktizierten (und zum Teil übers Ziel hinausschießenden) Teilhabe den Journalismus, sich diese Fragen neu zu stellen. Der Journalismus wird sich in Zukunft zwischen den Polen der Subjektivität und der Entfremdung neu verorten müssen. Ohne seine Ideale aufzugeben, aber diese vielleicht in neuem Licht betrachtend. “Rolle und Selbstverständnis des Journalismus” steht auf der Liste für unsere Forschungsvorhaben im Institut. Ich bin sehr gespannt darauf. Und es würde mich wirklich interessieren, welche Diskussionen der Entscheidung der heute journal-Redaktion vorausgegangen sind. Das waren bestimmt insgeheim Gespräche über die Zukunft des Journalismus.

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Mehr zum Thema Subjektivität und Entfremdung im Journalismus in dem Beitrag “Über Glaubwürdigkeit, Schreiben und Handeln“.

19 replies on “Claus Kleber denkt Hajo Friedrichs neu”

Den Satz kann man mögen, die mit kitschiger westlicher Musik unterlegten Bilder sind eklig und haben ihr Vorbild in der Sportberichterstattung, bei der nach jedem Spieltag ein best-off gezeigt wird – ein Verschnitt, im
Wortsinn.

Wenn sich Journalisten in der beschriebenen Weise neu ausrichten, dann ist das einfach ein Schritt zu mehr Ehrlichkeit (und wohl auch zu mehr Leidenschaft und Lebendigkeit). Einen manipulationsfreien Journalismus gibt es ohnehin nicht, hat es nie gegeben und wird es niemals geben.
Exemplarisch hat sich übrigens der Film “Under Fire” 1983 auf sehr eindrückliche Weise mit diesem Thema auseinandergesetzt. Und er kommt bereits zum gleichen Ergebnis.

Die Tatsache, dass sie das so gebracht und so begründet haben, ist einfach sehr bemerkenswert, auch wenn sie die richtige Tonsprache dafür noch nicht gefunden haben (Musik war tatsächlich zu laut und zu Revolutionskitsch). Die Bildsprache fand ich gelungen, weil sie die Chronologie und das Auf und Ab von Hoffen/Bangen/Resignation/Entschlossenheit ganz gut repräsentiert hat.

Das Diktum des Hajo Friedrichs hatte einen Hintergrund, der nicht einfach über den Haufen geworfen darf. Eben auch nicht für die (vermeintlich) “gute Sache”. Friedrichs ging es nicht nur darum, den seriösen Journalismus vom Boulevard-“Journalismus” abzugrenzen, der sich immer mit irgendwelchen Sachen gemein macht (contra Kinderschänder oder Griechenland, pro Guttenberg oder Lierhaus usw.).

Der 1927 geborene und den Krieg bewusst miterlebende Friedrichs lehnte vor allem die Vereinnahmung des Journalismus durch Politik und Ideologie ab. Ob im Nationalsozialismus oder in der DDR – Journalisten hatten sich hier in den Dienst der Macht gestellt. Davon wollte sich der seriöse Nachkriegsjournalismus distanzieren. Er wollte Beobachter sein, nicht Akteur. Auch dieser Journalismus hatte gewaltigen Einfluss (siehe z.B. Berichterstattung über den Vietnamkrieg, die Umweltproblematik oder die Atomkraft), aber er entmündigte nicht das aufgeklärte Individuum. Das konnte sich frei eine Meinung bilden.

65 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft und 20 Jahre nach dem Mauerfall soll der Journalismus nun wieder Partei sein dürfen, Emotionen bedienen oder gar manipulieren dürfen? Weil es um die “gute Sache” geht? Deswegen darf und soll das Diktum Friedrichs’ fallen?

Sorry, gerade deswegen nicht! Wie das Beispiel des Irak- oder Afghanistankriegs zeigt, kann sich sehr schnell ändern, was eine “gute Sache” ist. Wir hatten in vielen Bereichen in den letzten Jahren zu viel einseitige und sich beständig wiederholende Berichterstattung für oder gegen eine Sache, anstatt einen Journalismus, der Kraft Sachkompetenz beobachtet, nachdenkt und dann berichtet.

Ich muss gestehen, dass ich von diesem Einspieler befremdet war. Ich muss zugeben, dass ich “handyspielenderweise” die Nachrichten eher desinteressiert verfolgte, so dass ich die Zäsur zwischen dem offiziellen Format und dem stark emotionalisierenden Einspieler verpasste. Die plötzlich einsetzende (und für mich gänzlich unerwartete) Musik ließ mich aufhorchen, irritierte mich aber auch. Ich empfand allerdings Claus Kleber gleichermaßen irritiert, sein erklärender Satz kam mir ausgesprochen improvisiert vor, so als hätte er – ähnlich wie ich – das Gefühl, als würde etwas nicht stimmen. Ich empfand es jedenfalls als äusserst unpassend und hätte soviel Emotion eher bei den Privatsendern verortet, wo jede Naturkatastrophe zum “FilmFilm-Event-Movie” hochstilisiert wird, teilweise sogar mit eigenem Logo. So etwas hat sicher Platz in Wochen- oder Jahresrückblicken, in einer Nachrichtensendung meiner Meinung nach aber nichts verloren. “Kommentar” hin oder her.

Ich sehe darin eine Reaktion auf den starken Druck der Kritiker, die Öffentlich-Rechtlichen hätten nicht ausreichend über das Thema berichtet und die historische Tragweite der Geschehnisse nicht erkannt. Meiner Meinung nach ganz schwach und unjournalistisch. Diese Verbeugung ist nicht “aufrichtig” (aufrichtige Verbeugung- schönes Oxymoron^^), sondern ostentativ an die tatsächlichen Zuschauer gerichtet, die sicherlich nicht zu den vorgeblichen Adressaten zählen.

Der Satz ist auf jeden Fall ein Anlass, nachzudenken: über die Unabhängigkeit von Journalismus, über Subjektivität, sei sie notwendiges Übel, sei sie bewusstes Stilmittel. Ich fürchte, dass der geschätzte Hanns Joachim Friedrichs mit seinem viel zitierten Satz einer Objektivitäts-Ideologie, wie sie im “Fakten, Fakten, Fakten”-Irrsinn des Focus ihren perversen Höhepunkt fand, erst den Weg bereitet hat, da freut es mich, wenn das mal ein wenig gerade gerückt wird. So gesehen freut mich Klebers Satz.

Was mich nicht freut: wenn das Ergebnis dann aussieht wie vorgestern im heute-journal. Wie oben schon geschrieben: westlicher Revolutionskitsch, unangemessen. Aber vielleicht ist das ja eine weitere Folge dieser Diskussion: dass man sich Gedanken darüber macht, welche Bilder denn angemessen wären, entschiede man sich, nicht mehr so zu tun, als ob man neutraler Beobachter sei.

das berühmte zitat von hajo friedrichs war damals schon nur zum teil richtig. wenn auch zum größten. aber in der journalistischen arbeit wird es immer wieder themen geben, in denen reporter eine haltung einnehmen können und sollten. beispielsweise dann, wenn irgendwo eine schweinerei aufgedeckt wird. wer sich da völlig rausnimmt, alle seiten gleichermaßen zu worte kommen lässt, ohne einzuordnen, ohne zu bewerten, der lässt den leser/zuschauer oft orientierungslos zurück. ich arbeite seit 20 jahren in verschiedenen redaktionen öffentlich rechtlicher rundfunkanstalten. die “neue” diskussion ist mindestens so alt, wie meine berufliche laufbahn. und schon immer habe ich in redaktionen gearbeitet, die ein stück mit haltung meist besser und mutiger fanden, als eine seelenlose erörterung. das problem ist ja, dass kein journalist wirklich neutral und objektiv sein kann. dann ist es ehrlicher, dem zuschauer zu sagen, aus welchem blickwinkel ein stück entsteht.

Ich stimme olfinger zu. Genau betrachtet, ist Journalismus nie objektiv – die Auswahl der Themen, die Sichtweise auf das Berichtsobjekt, die (Aus-)Sortierung von Fakten, Zitaten, Beobachtungen: Das wird doch alles gespeist von innerer Einstellung und Haltung. Olfinger sagt es richtig: Ehrlich wäre es, den Leser/Zuschauer dann auch mehr oder weniger explizit erkennen zu lassen, welche Motivation einen selbst antreibt.

Erinnert mich auch ein bisschen – der Vergleich hinkt natürlich – an die Debatte in der Juristerei nach dem Zweiten Weltkrieg. Da ging es ja darum, ob die Richter sich stur an das geschriebene Recht halten sollen oder ob es eine höhere Ethik gibt als Richtschnur für die eigenen Urteile. So eine Diskussion ist dem Journalismus ja nicht fremd, so ist etwa auch der Pressekodex entstanden. Nur teilt man diese Diskussion selten mit dem Leser/Zuschauer. In einer immer personalisierteren Medienwelt ist das nicht zuletzt auch eine vertane Chance.

Hilfe! Ich will keine emotionalen Journalismus. Es ist und bleibt falsch, wenn sich Journalisten mit einer Sache gemein machen – weil sie die Distanz verlieren. Und damit die Grundlage für eine sachliche Analyse. Emotionen habe ich im Zweifel als Rezeptient selber, die sollte mir nicht ein Journalist vorleben.

Was werden denn die ganzen Hurra-eine-Revolution-Berichterstatter machen, wenn die Sache schiefgeht? Wenn es sich herausstellt, dass Ägypten doch nur eine von einer Volksrevolution herbeidemonstrierte Militärdiktatur wird?

Werden sich die Journalisten vor den Menschen verbeugen, wenn es in Pakistan zu einem Volksaufstand kommt, der ein islamistisches Talibanregime an die Macht bringt?

In den USA kann man sehen, wo emotionaler Journalismus endet. Bei Fox News machen sich dann die Journalisten mit de Tea-Party gemein – die sie vermutlich auch für eine gute Sache halten (oder im Zweifel für eine für sie lukrative). Weil man so herzzerreißend für die eine oder andere Sache steht, kann man dann auch schon mal die Fakten verdrehen und Lügen auftischen.

Gerade weil es sich um emotionale Momente handeln, müssen die Berichterstatter darüber einen kühlen Kopf bewahren.

Das wirklich Neue an dieser Sendung war die Krawatte. Ich hatte schon fast aufgegeben und dachte, dieser Mann könne sich nicht vernünftig anziehen.

Dieses Best-of am Ende haben gewisse Journalisten doch schon immer gemacht, nach Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften, Kirchentagen und Jubiläen. Jetzt war halt die Revolution dran.

Dass sich Claus Kleber mit dem letzten Beitrag gemein macht, ist aber nicht neu und auch nicht seine Erfindung, das hat vor ihm auch z.B.Wickert so gemacht. Eines ist es mit Sicherheit: Boulevard. Wem neu ist, dass mindestens der letzte Beitrag beim heute-Journal leichte Kost ist, hat nicht gut aufgepasst. Hanns Joachim Friedrichs hätte vielleicht nur mit den Schultern gezuckt (hätte ja aufgepasst).

Der Einspieler hatte mich sehr verblüfft und überrascht. Ich war zunächst erfreut über diese Verbeugung vor den ägyptischen mutigen Menschen – über eine Parteinahme, die seitens anderer (politischer) Instanzen bis dato gefehlt hatte.
Auf die emotionalisierende Musikunterspielung reagierte ich jedoch mit üblicher idiosynkratischer Abwehr – manipulativer Audiokitsch macht widerwillig – und zieht das Ganze auf das Level von Privatsendern.
Weniger Geräusch (oder mehr O-Ton) hätte hier geholfen.

Gestern schon wieder. Habe folgende E-Mail verfasst. Wer sich auch mal beim ZDF melden möchte, darf meinen Text verwenden. Oder abändern und dann verwenden. Nicht, dass es nachher wieder heißt “Och, wir haben auf dieses neue Nachrichtenelement aber durchweg positive Reaktionen erhalten…”

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe gestern (Samstag, 12.03.2011) eine der ZDF-heute-journal-spezial-Sendungen zum Thema Beben/Tsunami/Atomkatastrophe in Japan gesehen. Es handelte sich um jene, die bis 22:45 Uhr lief. Am Ende dieser Sendung wurden die Bilder des Tages noch einmal zusammengefasst, und zwar MIT MUSIK UNTERLEGT; zudem war die Bildsequenz, in der die Explosion des Kraftwerksblocks zu sehen war, so mit der Musik (“teardrop” / Massive Attack, gekürzt um die Gesangspassagen) synchronisiert, dass sie mit einem gewissen “Höhepunkt” innerhalb des Musikstücks zusammenfiel – also in etwa so, wie man in der musikalischen Begleitung von Nachrichtenmedien früherer Epochen vielleicht einen “Tusch” gesetzt hätte. Hierzu teile ich Ihnen mit:

Die gezeigten Ereignisse sind auch so dramatisch, beängstigend und bewegend. Das wird sicher jeder normalbefähigte Zuschauer so sehen. Einer zusätzlichen Emotionalisierung in Form eines mit Musik unterlegten “bunten Bilderbogens”, wie sie sonst leider am Ende von Sportübertragungen genutzt werden, um Sendezeit zu schinden, bedarf es somit NICHT. Vielleicht könnten Sie solcherlei albernes Event-Getöse also in Zukunft weglassen. Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen

….

Und wer keine Lust hat, sich durch das Kontakt(verhinderungs)formular auf zdf.de zu tippen: info@zdf.de

@dajoerch Ich stimme Ihnen zu. Mir ist der Katastrophen-Soundtrack gestern Abend auch unangenehm aufgefallen.

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