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Tatorte, Gräben und drei Fragezeichen

Unterstellungen, Beschimpfungen, Verleumdungen. Man könnte meinen, der Begriff  “Strohmann-Argument” sei geradezu für die Debatten um den digtalen Wandel und das Urheberrecht, für den Kampf zwischen “alten” und “neuen” Medien erfunden worden. Unser Slow Media Manifest ist damals aus Unmut über diese unkonstruktiven Debatten zwischen Print und Online, zwischen traditionellen und neu entstehenden Kulturtechniken, entstanden.

Zwei Jahre und eine stattliche Anzahl an Beiträgen über den medialen Kultur- und Grabenkampf später sitzen wir hier immer noch, und das Säbelrasseln geht munter weiter. Keine sachliche Auseinandersetzung in Sicht, stattdessen flattern und blinken in zunehmendem Crescendo täglich weitere Beispiele für diesen Grabenkampf ins Haus. Dabei sind es nicht nur Verwerter, Verlage, Plattenfirmen und andere Gatekeeper, die sich zu Wort melden, um ihr Werk vor dem gierigen Schlund des Digitalen zu retten, sondern auch Urheber, also Autoren und Musiker selbst.

So redete sich der eigentlich zurückhaltende Musiker und Autor Sven Regener kürzlich in Rage, spricht in Bezug auf das Urheberrecht und digitale Verfügbarkeit von “asozialen” Leuten, “Deppen” und gibt einige überraschende Derbheiten (“ins Gesicht pinkeln”) zu Protokoll. Tatort-Drehbuch-Autoren wetzen in einem offenen Brief ihre Federkiele. Sie verwenden dabei in Bezug auf ihre vermeintlichen Gegner (auch hier die nicht näher definierte “Netzgemeinde”) fünfmal das wenig sachliche Wort “Lebenslüge” (sowie zweimal das Adjektiv “demagogisch”), um dann darauf zu verweisen, dass sie für “konstruktive Gespräche” jederzeit bereit stehen.

Dabei wird munter alles durcheinander in einen Topf geworfen, musikdownloadende Kinder und milliardenschwere Konzerne, Grüne, Linke, Kim Schmitz, Piraten, Freibeuter, Hacker, Musik, Filme, Blogger, Eigentum, Leistung, Schöpfungshöhe, ja nicht einmal Urheberrecht und Nutzungsrecht schaffen es die meisten Beteiligten auseinanderzuhalten, selbst wenn sie Juristen sind.  Man muss sich ernsthaft fragen, in welcher Phase der Debatte wir angekommen sind.

Ein funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber gibt es schon jetzt nicht

“Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass der, der den Inhalt liefert, nichts bekommt, ist kein Geschäftsmodell. Das ist Scheiße”, sagt Sven Regener in seinem Hörfunkinterview. Da stimme ich ihm zu.

Allerdings bezieht er dieses Argument nur auf das, was er mit dem digitalen Wandel heraufziehen sieht. Aber viele der herkömmlichen und von ihm so vehement verteidigten Geschäftmodelle wie z.B. im Verlagswesen basieren genau darauf. Bei einer akademischen Publikation muss dem Autor als Bezahlung die Ehre genügen, dass er den Peerreview-Prozess passiert hat und überhaupt in einem renommierten Verlag publizieren darf. Akademische Forscher sind auf eine lange Publikationsliste angewiesen. Fertig. In or Out. Kennen Sie einen Doktoranden, der seine Doktorarbeit ohne Druckkostenzuschuss hat in einem Verlag drucken lassen können? Das Publizieren ist Voraussetzung für die Promotion, also müssen die meisten selbst dazuzahlen. Um einen Beitrag unter Open-Access-Bedingungen veröffentlichen zu lassen, kann es sein, dass Autoren mehrere tausend Euro zahlen müssen (zahlen, nicht bekommen): Verwaltungskosten, damit der Verlag das Werk des Autors allen Lesern frei zur Verfügung stellen kann. Das ist kein Scherz, das Modell hat sogar einen Namen: “Author-pays“-Modell.

Die Gratiskultur in Verlagen anzuprangern wäre also genauso angebracht wie die Kostenloskultur im Internet. Ich bin Autorin, ich weiß wovon ich rede. Und: Nein, das ist nicht nur bei wissenschaftlichen Publikationen der Fall. Fragen Sie einen freien Journalisten, wieviel Zeilenhonorar er bekommt und ob er sich durch die derzeit bei Verlagen üblichen Total-Buyout-Verträge gut vertreten sieht. Der Unterschied zwischen freiem Journalismus und kostenlos Bloggen ist vielleicht gar nicht so groß, wie Sie denken. In den belletristischen und anderen Buchveröffentlichungen bekommen die Autoren ca. 10 % des Nettoladenverkaufspreises. Rechnen Sie sich aus, ab welcher verkauften Auflage das bei einem Buch von 15 Euro als Geschäftsmodell für den Autor taugt. Verstehen Sie mich richtig. Ich weiß, dass vor allem kleine Verlage, die gute Arbeit machen, nicht anders wirtschaften können. Aber ein Geschäftsmodell für Autoren ist es eben schon jetzt nicht. Und auch bei Künstlern, Musikern und Filmemachern sieht es nicht viel anders aus (wenn sie nicht zu den lucky few wie Sven Regener gehören).

Die Wahrheit ist: Wir haben kein gut funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber. Genauer: Wir hatten auch schon vor dem Internet kein gut funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber. Für die Verwerter vielleicht, aber nicht für die Urheber selbst.

Digitale Kultur jenseits von Internet-Konzernen

Ein weiteres Missverständnis ist es, die digitale Kultur mit den Wirtschaftsinteressen von Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon gleichzusetzen. Auch wenn es offenbar für viele schwer vorstellbar ist: Es gibt eine digitale Kultur jenseits von Facebook. Nicht jeder, der eine Kultur des Teilens und Mitteilens pflegt, ist ein Lobbist von Google. Man kan für digitale Kultur und gegen ihre Vereinnahmung durch Google, Amazon und Facebook sein. Dieses Blog ist mit Beiträgen wie “Die Illusion vom freien Internet“, “Virtueller Rundfunk” und “Ohne Google” das beste Beispiel dafür.

Die richtigen Fragen stellen und beantworten

Deswegen haben Leute wie Sven Regener und die Tatort-Drehbuchschreiber zwar irgendwie recht, aber auch nur, weil sie alles durcheinander werfen. In der Summe treffen sie nicht den Kern des Problems und sie stellen auch nicht die richtigen Fragen.

Ich schlage also vor, das Potpourri der liebsten Feindbilder, das Netzgemeindesüppchen, vor sich hinköcheln zu lassen und sich stattdessen mit der Beantwortung der zugrundeliegenden eigentlichen Fragen zu befassen. Ich denke, auch Sven Regener und alle Tatort-Drehbuch-Autoren können sich ohne Gesichtsverlust meinen drei Fragen anschließen:

Die richtige Frage Nummer 1 lautet: Wie verhindern wir die systemische Ausbeutung von Urhebern?

Die richtige Frage Nummer 2 lautet: Wie schaffen wir es, die digitale Kultur jenseits der Interessen von wirtschaftlichen Unternehmen wie Google, Facebook und Co. zu fördern und zu etablieren?

Und die richtige Frage Nummer 3 lautet: Wann fangen wir endlich damit an?

 

 

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Als Nachtrag zum Thema der Beitrag von Autorin und Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig: “Und dann ist da noch mein T-Shirt-Shop. Wovon ich lebe: Ein Beitrag zur Debatte über Urheberrechte

 

6 replies on “Tatorte, Gräben und drei Fragezeichen”

Ich möchte gerne darauf hinweisen, dass man nicht einfach davon ausgehen kann, dass “Urheber” eine gott- oder naturgebene Selbstverständlichkeit sind. Die Debatte muss weit früher ansetzen. Bevor man den Begriff “Urheber” als manifestiert ansieht. Dass man “Inhalt” und “Kanal” trennen kann, ist nämlich kein gesetzter Ausgangspunkt.

Was haltet ihr denn von auf Freiwilligkeit basierenden Finanzierungssystemen (Mikropayment, Crowdfunding, Zahl-was-du-willst-Konzepte, etc.)?

Mir leuchtet zudem auch nicht immer sofort ein, dass man von Kunst leben können sollte; Künstler, die mich mitunter am meisten faszinieren, können es nicht; manch andere, die Vorträge über ihr Extremsporthobby halten, können es aber schon. Ist das nun ein Fehler des Marktes?

Zumindest schenkt es denen, die nicht von ihrer Kunst leben, Freiheit im Ausdruck und die Möglichkeit, nicht immer antizipierend auf Zielgruppen hin produzieren zu müssen (sicher oft unter schwierigeren Umständen) – Ermöglichung der “Untergrundarbeit einer freien und präsenten Variation” (Deleuze).

Dazu kommt auf der anderen Seite die Anerkennung des erstaunlichen Umfangs an Bereitschaft, scheinbar gegenleistungslos und uneigennützig (und teils unter Aufgabe jedweder “Verwertungsrechte”) Wissen, Zeit und Kreativität in Gemeinsames (Wiki-Beiträge, Blogs, etc.) zu investieren, einfach so. Das wird leider auch zu selten erwähnt in dem Kontext.

“Was nottut, ist eine Liga all derer, die sich dem Mechanismus entziehen wollen; eine Lebensform, die der Verwendbarkeit widersteht. Orgiastische Hingabe an den Gegensatz alles dessen, was brauchbar und nutzbar ist.”
(Hugo Ball, Die Flucht aus der Zeit, 1927)

“eine Lebensform, die der Verwendbarkeit widersteht”, ach ja. Aber wovon lebt der Mensch? Derzeitge Modelle honorieren Kultur eben nur als Ware, reduzieren sie auf Verwertbares, Brauchbares, Nutzbares.

Sehe das Problem genauso. Allerdings würde ich mir neben der wichtigen und legitimen Einklage von angemessenen Finanzierungsmöglichkeiten für Kulturgestaltende auch eine von diesen ausgehende Selbstbestimmungsdiskussion wünschen.

Was soll Kultur? Was will Kultur (auch und gerade jenseits der Selbstfinanzierung durch gefragte Produkte)? Ihr legt ja in eurem Manifest schon einmal eine entsprechend prägnante Standortbestimmung vor.

Eine Diskussion, die auch Funktion und Rolle der Geistes- und Kulturwissenschaften mit umfassen würde, könnte sich der Frage stellen, ob es einen Nutzen von “Kultur” (wir bräuchten hierfür wohl ein neues und passenderes Wort) gibt, der nicht über Nachfrage zu ökonomisieren ist/sein sollte? Worin besteht er und wie und wodurch könnte er finanziert werden?

Kultur ist weder Ware noch Almosen:

»Nein«, antwortete Zarathustra, »ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.« (Nietzsche, Zarathustra)

@Tom
Ganz recht, genau das sind die Fragen, die zu beantworten sind. Dazu kommt bald noch etwas. Wir brauchen Finanzierungsmodelle, die auch den Eigenschaften der Kultur jenseits des reinen Warencharakters Rechnung tragen.

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