Die eigentliche Innovation, die mit der Hilfe des Bloggens in die Medienlandschaft geschwappt ist, war in Wirklichkeit nie die Echtzeit. Nein, der entscheidende Unterschied zwischen “normalen” Webseiten oder Portalen und Blogs ist das Archiv und die wundervollen Möglichkeiten der “Langsamkeitspflege” (Odo Marquard), die sich daraus ergeben, wie Don Alphonso hier feststellt.
Als Don Dahlmann vor drei Jahren geschrieben hatte, “man soll[t]e echt mal eine Übersicht über die deutsche Blogszene machen, denn da geht sehr schnell, sehr viel verloren,” habe ich das Blog History Project ins Leben gerufen. Der Versuch, eine Übersicht über die Geschichte der deutschsprachigen Blogosphäre aufzuzeichnen.
Von den ersten Anfängen vor 14 Jahren – Robert Braun, Cybertagebuch und Moving Target über die erste Bloggerwelle 2001, die sogar in der ein oder anderen Zeitung bemerkt wurde, bis zu der großen Blogeuphorie Mitte der 2000er Jahre. Jetzt ist diese Geschichtsschreibung selbst schon wieder drei Jahre her, aber das schöne ist: fast alle Blogs und ihre Archive sind immer noch vorhanden. So viel geht hier gar nicht verloren.
Interessanterweise habe ich in der oral history die Erfahrung gemacht, dass sich zentrale Infrastrukturen wie zum Beispiel Postämter, in die fast jeder Bürger einer Gemeinde mehrmals im Jahr, Monat oder gar in der Woche zum Geldabheben, Briefeaufgeben, Telefonnummern nachschlagen etc. gegangen ist, nach dem Abriss allerhöchstens 10 Jahre in der Erinnerung halten.
Teilweise sind sie trotz (oder wegen?) ihrer Banalität und Alltäglichkeit nicht einmal photographisch dokumentiert – oder vielleicht nur auf dem Medium, das alle immer für ebendiese Banalität kritisieren. Ich vermute, dass man auf Twitter mehr Abbildungen des auf seine Weise wunderschönen mittlerweile abgerissenen Aschaffenburger Bahnhofs findet als in den Archiven des Stadtbauamts.
Wahrscheinlich werden wir unsere Blogs auch in 20 Jahren noch kennen und zum Teil immer noch in ihren Archiven stöbern können, während politische Echtzeitfiguren wie Ursula von der Leyen oder Horst Köhler schon längst in verstaubten, vergilbten und mit Spinnenweben verhangenen Winkeln der Wikipedia vor sich hin schlummern. Und das ist gar nicht einmal die schlechteste Entwicklung.
Die Literaturempfehlung hierzu ist das sehr lesenswerte Buch von Florian Aicher und Uwe Drepper über den Architekten Robert Vorhoelzer, den Mittelpunkt der gleichzeitig so bayrischen wie unbayrischen Postbauschule der 1920er Jahre.