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De mémoire, de réflexion
et pas simplement d’informations.

Jacques Delors über Slow Media

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“Lord Weidenfeld peut opposer à ces violentes critiques [des médias; e.g. Lazarsfeld “The rape of crowds by political propaganda”], d’une part la dette de la démocratie envers les médias, dits lents, que sont le journal et le livre. Ils ont beaucoup contribué à l’éveil et au développement de la démocratie. Et il peut aussi mieux que tout autre, par son action pendant la guerre, indiquer la dette que nous avons envers les libertés lorsque, comme lui, on tentait de diffuser au-delà du terrain de la guerre et des atrocités une vision du monde plus acceptable et un avenir que l’on pouvait croire meilleur. Mais puisque j’ai évoqué les médias lents par opposition aux médias courts, je ne peux m’empêcher de plaider pour la vigilance à l’égard de ces médias courts. Vigilance ne veut pas dire procès. Nous avons besoin de mémoire, de réflexion et pas simplement d’informations. Cette réflexion me vient tout naturellement à l’esprit en pensant aux types d’informations qui concernent la construction européenne.”

Die Medien als Mittel der Stabilisierung von Demokratie und als Waffe gegen Willkür und Grausamkeit verteidigt Jacques Delors in seiner Rede anlässlich der Verleihung der Karlsmedallie an George Weidenfeld gegen die ideologischen Kritiker: Poison à ne pas avaler – die Medien sind viel mehr, als Vergewaltigung der Massen durch politische Propaganda. Und dabei nimmt Delors bereits vor zehn Jahren eine Differenzierung vor, die in wenigen Worten unsere Gedanken des Slow Media Manifest vorwegnimmt: “… ich komme nicht umhin, die Wachsamkeit gegenüber diesen Kurzfrist-Medien zu beschwören.” Besonders der heikle, oft von der nationalen Mythisierung vergiftete Prozess der friedlichen Einigung Europas ist anfällig gegenüber verkürzter Darstellung und kaum auf die Schlagworte der Médias Courts zu reduzieren.

“Gedächtnis, Reflektion und nicht nur Information” machen nach Jacques Delors im Gegensatz dazu die Medias Lents aus, die Slow Media. Und entsprechend endet seine Laudatio auf den wahrhaft kosmopoliten Verleger Weidenfeld mit einem Zitat des UNESCO-Generalsekretärs Federico Mayor über das Fortbestehen des Buches:

“Das Buch ist das unersetzbare Transportmittel, ungleich weiter, als der Rundfunkt reicht es in in die Welt der Information und des Wissens, der Träume und der Erlösung, und es gibt nichts, das uns das Recht gibt, sein anstehendes Verschwinden vorherzusagen.

Und in was Nachhaltigkeit und Dauer von Medien betrifft, davon sprach der Vorsitzende des UNESCO-Aufsichtsrats Golan Ali Raadi anlässlich der Einweihung des Hauptquartiers in Paris mit den Worten Firdausis:

Die fest-gefügtesten Gebäude zerfallen unter dem Einfluss von Regen und der brennenden Sonne,
Aber weder Wind noch Regen wird dem Denkmal etwas anhaben, das meine Verse errichtet haben.

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Papier und ökologische Nachhaltigkeit

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Traunsteiner Salzmeierzyklus “Nachhaltigkeit”, sagt der Mann in dem Video auf der Leinwand, “das ist für mich wenn man immer dasselbe macht. Das Gegenteil von flexibel”.
– Für mich einer der stärksten Momente auf dem Mediamundo Kongress zur nachhaltigen Medienproduktion, der dieser Tage in Berlin stattfand.

Für die einen ist der Begriff schon zum Marketing-Buzzword verkommen, während er für die meisten Menschen schlicht missverstanden wird. Gute Voraussetzungen, eine leere Hülse zu werden, ein toter Begriff.

Der Term Nachhaltigkeit stammt aus der Forstwirtschaft. Den Waldbauern ist bereits seit Jahrhunderten klar, dass man nur soviel abholzen darf, wie nachwachsen kann – da in dieser Industrie oft zwei oder mehr Generationen zwischen Saat und Ernte vergehen, ist es nicht verwunderlich, dass spätestens mit Aufkommen sehr holzintensiver Produkte am Ende des Mittelalters, wie den wachsenden Flotten immer größerer Segelschiffe oder den Salinen mit stark zunehmendem Bedarf an Brennstoff zum Verdampfen der Sole, die nachhaltige Wirtschaft explizit in die Ökonomie Eingang gefunden hatte. Erst im Zeitalter des Stahl und der Steinkohle – später des Erdöls – wurde das Konzept Nachhaltigkeit zunächst scheinbar überflüssig.

***

Von den etwa 390 Millionen Tonnen Papier, die jährlich produziert werden, verbrauchen Europa und die USA alleine knapp die Hälfte. Deutschland, mit einem pro-Kopf-Verbrauch von 256 kg pro Jahr (1950 waren es gerade einmal 40 kg), liegt dabei nur knapp hinter den USA und weit über dem europäischen Durchschnitt. Alleine der Anteil von 7,4 Millionen Tonnen Papier in Deutschland, die aus frisch geschlagenem Holz und nicht aus Altpapier hergestellt werden, entspricht etwa der Menge die Afrika als Ganzes verbraucht. Zunächst sind es die gewaltigen Waldflächen – 20% der globalen Holzernte werden für Papier verwendet; mehr als 50 Millionen Kubikmeter alleine in Deutschland. Daneben schlägt vor allem der Wasserverbrauch bei der Papierherstellung zu Buche. 7 Liter Wasser werden für ein Kilogramm Papier verbraucht, der größte Teil davon bleibt als giftiges Abwasser zurück.

Bis Druckerzeugnis nachhaltig produziert werden, scheint es also noch ein weiter Weg. Zwar werden Tageszeitungen heute vollständig aus Altpapier hergestellt, bei allen anderen Drucksachen ist der Altpapieranteil aber seit Jahren rückläufig. Es gilt drei Ziele zu verfolgen, sollen Printmedien ökologisch nachhaltig werden:

1) Vermeiden
Insbesondere bei Werbedrucksachen bleibt es unverständlich, wie selbst grundsätzlich wertvolle Marken ungeniert Spam-Mailings an nahezu ungefilterte Verteiler schicken. Auch die Katalogversender schaffen es so gut wie nie, sich auf Kunden einzustellen, die das Altpapier leid sind, das regelmäßig Briefkasten und Papiertonne verstopft. Von den Schweinebauchanzeigen und Beilegern, die die meisten Zeitungsleser ohnehin aus der Zeitung direkt in die Tonne schütteln (“de-bonning” – ja, das hat sogar einen Namen!). Dann das Ausdrucken von Mails und anderem Büro-Kram. Und schließlich auch ein Appell an die Drucker-Hersteller: solange es selbst technisch geschultes Personal nicht schafft, auf Anhieb zweiseitig Auszudrucken, bleibt die Rückseite eben ungenutzt.

2) Wiederverwerten
Recycling-Papier muss wieder Standard werden. Die öffentlichen Verwaltungen in Deutschland berufen oft sich auf EU-Recht und sehen in der Einschränkung auf bestimmte Papiersorten eine Wettbewerbsverzerrung. Auch bei öffentlichen Ausschreibungen wird keine Recycling-Quote vorgegeben. Dass dies nur ein Vorwand ist, belegen die Niederlande mit ihrer Selbstverpflichtung zu ökologischem Papier in der Verwaltung. Aber auch hier sind die Hardware-Hersteller gefragt: solange unklar bleibt, inwieweit Recycling-Papier zu höherem Verschleiß und häufigerer Wartung der Geräte führt, bleibt beim Einsatz von Recycling-Papier zumindest Unsicherheit.

3) Zertifizieren
Auch eine strikt ökologisch Ausgerichtete Druckerei ist auf Papier mit Frischfasern angewiesen. Auf Bäume als Rohstoff ist nicht zu verzichten. Aber genau hier liegt ja eine der Stärken von Papier im Vergleich etwa zu elektronischen Medien: es ist nachwachsender Rohstoff, ja in gewissem Umfang wird sogar CO2 in Papier dauerhaft gebunden. Es ist Zeit für eine Rückbesinnung auf die Waldwirtschaft der Zeit vor der industriellen Revolution – das Holz, dass geschlagen wird, nachwachsen lassen.

International transparente Testate wie die Zertifizierung der Forest Stewardship Council geben den Papierverarbeitern die Sicherheit, tatsächlich nachhaltig produzierten Rohstoff zu kaufen und nicht nur Greenwashing zu betreiben. Erfreulicher Weise wird das FSC-Zertifikat bereits in weiten Teilen der Industrie anerkannt und eingesetzt. Die Nachfrage nach sauberem Holz ist allerdings so stark, dass es kaum möglich ist, den Bedarf mit FSC-Zertifiziertem Wald zu decken. Damit es nicht reine Utopie bleibt, muss ein Zertifikat Kompromisse eingehen, was natürlich auch nicht unproblematisch ist. “Während wir für die einen schon als unglaubwürdig gelten, sind unsere Kriterien für viele andere gleichzeitig immernoch unbezahlbar.”, beschreibt Uwe Sayer von FSC Deutschland die Zwickmühle zwischen Glaubwürdigkeit und Praxis.

***

Papier ist ein wunderbares Medium – es hält seinen Inhalt unter einigermaßen guten Bedingungen über Jahrhunderte lesbar. Keine Abspielgeräte sind notwendig, keine Stromversorgung. Unter diesem Aspekt ist Papier an sich schon immer nachhaltig. Umso wichtiger ist es, jetzt den Schritt zu gehen, auch der Papiererzeugung eine langfristige Perspektive für die Zukunft zu geben!

“Nein, das ist eine Überraschung! Und eine herrliche Überraschung!” sagte das Papier. “Nun bin ich feiner als zuvor, und nun werde ich beschrieben werden! Was kann nicht alles geschrieben werden! Das ist doch ein außerordentliches Glück!” Es wurden die allerschönsten Geschichten darauf geschrieben, und die Leute hörten, was darauf stand, und es war richtig und gut, es machte die Menschen weit klüger und besser, als sie bisher waren, es war ein wahrer Segen, der dem Papier in den Worten gegeben war. Hans Christian Andersen, Der Flachs.

Weitere Beiträge zum Thema Druck:

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Der umgekehrte Turing-Test

Im Oktober dieses Jahres jährt sich die Veröffentlichung von Alan Turings Paper “Computing Machinery and Intelligence“, das damals in der philosophischen Zeitschrift Mind veröffentlicht wurde, zum 60. Mal. Zwei Jahre später, im Turing-Jahr 2012, wird dann wahrscheinlich auf zahlreichen Symposien und Konferenzen über die gegenwärtige Bedeutung des Turing-Tests debattiert und gestritten. Kurz zusammengefasst beschreibt Turing ein Testsetup, das dazu geeignet ist, menschliche und computerisierte Intelligenz voneinander zu unterscheiden.

Dieses Konzept, obwohl auf den ersten Blick aus einem ganz anderen Diskurs stammend, hat für mich einen sehr spannenden Berührungspunkt mit der gegenwärtigen Diskussion über die Folgen der Internetgesellschaft. Unser Slow Media-Manifest skizziert in 14 Punkten eine denkbare Zukunft der (Qualitäts-)Medienproduktion. In den letzten Tagen habe ich immer wieder mit Journalisten und Redakteuren über die faszinierenden Möglichkeiten gesprochen, die sich durch Slow Media für Zeitungen und Zeitschriften eröffnen.

Ein immer wieder diskutiertes Thema war dabei die Frage: Haben auch Tageszeitungen, die wie kein anderes Medium derzeit von einer Sinnkrise befallen sind, eine Zukunft? Können sich auch Medien, deren Kernaufgabe die tägliche Information einer breiten Öffentlichkeit ist, unter dem Zeichen von Slow Media neu erfinden und hierin neue Geschäftsmodelle entwickeln? Welchen Qualitätskriterien müssen Tageszeitungen unter Slow-Media-Gesichtspunkten genügen?

Was wir an dieser Stelle brauchen, ist eine Art umgekehrter Turing-Test. Denn in der zweiten historischen Phase des Internets sehen sich gedruckte Tageszeitungen nicht mehr nur in Konkurrenz mit den Produkten ihrer Onlineredaktionen, sondern zunehmend auch in Konkurrenz mit Computer-Algorithmen. Hinter Plattformen wie Google News oder Rivva stehen keine Redakteure mehr, sondern programmierte Selektionsregeln auf Grundlage der Vernetzung von Internetquellen, ganz gleich ob dies Webseiten oder persönliche Profile sind. Was die Geschwindigkeit und das Volumen betrifft, haben die Algorithmen ihre menschlichen Vorläufer schon lange überholt. Und auch in Punkto Relevanz ist die Distanz nicht mehr allzu groß.

Hier kommt der umgekehrte Turing-Test ins Spiel, der nicht abbildet, wie nah die künstliche Intelligenz an die humane heranrückt, sondern das genaue Gegenteil: die Möglichkeiten der menschlichen Intelligenz, eine inhaltliche und formale Qualität zu schaffen, die jenseits der Möglichkeiten der Algorithmen liegt. Wenn sich der Mantel von Tageszeitungen, was Auswahl und Präsentation der Nachrichten, von automatisierten Angeboten à la Google News nicht mehr unterscheidet, haben die Redakteure den umgekehrten Turing-Test nicht bestanden. In diesem Fall ist ihre Verhandlungsposition denkbar schlecht, denn warum sollten sie für dasselbe Ergebnis ein Vielfaches an Belohnung erhalten. Darüber hinaus: Algorithmen sind keine Gewerkschaftsmitglieder und brauchen keine Pausenräume. Diesen Konkurrenzkampf haben die Redakteure und Journalisten längst verloren, auch wenn sie noch so gute Lobbyarbeit für die Wirkung von Printprodukten machen.

Genau darin liegt aber auch die Chance. Zeitungen und Zeitschriften, die den umgekehrten Turing-Test bestehen und ein Ergebnis liefern, das in dieser Form nie und nimmer von einem Computer hätte errechnet werden können, haben eine Zukunft. Hinter diesen Medien stecken echte Menschen. Und das wichtigste ist: das merkt man auch.

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Gratwanderung im Offenen

“Slow” bedeutet, Dinge zuzulassen, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. Sich ins offene Feld zu wagen oder in abgelegene Bereiche, für die es keine Schubladen gibt. Dort, an den Rändern der Gewissheit, gibt man seine Meinungssicherheit auf. Eine schwierige und ungeschützte Stelle. Aber dort wird etwas möglich, was sonst verstellt ist: Wirkliches, tastendes Hinschauen. Ein offener und unvoreingenommener Blick.

Was bedeutet das für Medien? Ein beeindruckendes Beispiel dafür war neulich in der taz zu lesen. In ihrem Beitrag “Der lauteste Leser” vollzieht Anja Maier solch eine Gratwanderung auf faszinierend trittsichere Art. Sie berichtet über einen taz-Kritiker, einen Erzfeind, der über Jahre einen Blog für taz-Schmähkritiken betrieben hat und in der Redaktion allseits als Querulant belächelt wurde. Hans Pfitzinger, so heißt dieser Mann, stellte seinen taz-Schatten-Blog von einem Tag auf den anderen ein, nachdem er seine Diagnose bekam.

Seither stirbt er, erst zu Hause, dann im Hospiz, Zimmer elf. In diesem Zimmer elf besucht ihn die taz-Redakteurin und nimmt es damit gleich mit mehreren Tabus auf, Kritik, den Tod, die Krankheit mit K. Und sie verlässt konsequent das Feld aller Erwartungen. In welche Schublade bitte soll man einen sterbenden Querulanten stecken? Soll man ihn gut oder doof finden? Dürfen Journalisten überhaupt ein Interview mit einem Sterbenden machen? Dürfen Sterbende kritisiert werden?

Der Leser, es hilft nix, muss diesen Weg mitgehen. Und wirklich, die Autorin schafft es. Sie trifft das richtige Verhältnis zwischen Distanz und Nähe, sie trifft den richtigen Ton. Sie verharmlost nicht seine Fehler, sie wahrt Respekt vor seinem Leben, sie beschönigt nicht sein Sterben, sie ist weder voyeuristisch, noch sentimental, noch verleugnet sie sich selbst. Es ist ein Stück Journalismus, wie es einem nur selten gelingt. Es irritiert, berührt und verändert den Blick. Außerhalb der Schubladen natürlich, das muss man wissen, riskiert man missverstanden zu werden, das zeigen auch die Kommentare zu dem Beitrag. Gestorben ist Hans Pfitzinger letzte Woche.

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Das iPad und die digitale Gegenreformation

Hl. Ignatius von LoyolaEine der spannendsten Gedanken zum iPad war in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen (und teilweise auch hier zu hören). Darin beschreibt Frank Schirrmacher das neue Wundergerät von Apple – angekündigt wird es als magisch und revolutionär – als erste digitale Medienplattform mit Slow-Media-Features.

Das immer wieder bemängelte fehlende Multitasking, die wenigen Geräte-Schnittstellen und die vergleichsweise wenigen veränderbaren Benutzereinstellungen verwandeln sich nämlich im Kontext der Slow-Media-Bewegung zu einem zukunftsweisenden Feature-Set, das eine viel stärkere Konzentration auf die abgerufenen (immer häufiger: gekauften) Inhalte fordert. Damit macht dieses Gerät vielleicht tatsächlich digitale Medien auf eine Weise rezipierbar, die bislang Medien wie dem gedruckten Buch vorbehalten war:

Jetzt verkörpert die Hardware diese Philosophie. Multitasking ist Körperverletzung, lautet ein heftig umstrittener Satz. Apples Hardware verschont den Konsumenten, indem sie ihm gar keine Wahl zum Multitasken gibt. Allein das ist ein Bruch mit der klassischen Cyber-Anthropologie, in der der Mensch sich seine Welt bis in die Mikrostruktur zusammenstellt.

Paradoxerweise hört man bis jetzt vor allem die Stimmen derer, die mit diesem Gerät vermutlich gar nicht gemeint sind. Nicht die knapp 10 Prozent “jungen hyperaktiven” Routineonliner scheinen hier die Zielgruppe zu sein, sondern die Selektiv- und Randnutzer, für die das Internet kein Social Network, sondern eine digitale Bibliothek ist. Für die 71% der deutschen Online, die angeben, nie Social Networks zu verwenden, oder die 91%, die nur minimal in das “Mitmachnetz” involviert sind.

Ich glaube, dass Frank Schirrmacher in einem Punkt irrt. Er bezeichnet das iPad als “Restauration”. Das stimmt nicht. Das iPad bringt uns nicht zurück ins Gutenberg-Zeitalter. Nicht einmal in die Nähe davon.

Was wir hier erleben, ist eine Gegenreformation, in der nicht die alte Ordnung wiederhergestellt wird, sondern eine Radikalisierung, Expansion und innere Erneuerung der digitalen Kultur. Die Einführung des iPad, die von einigen Kommentatoren bereits als Ende der PC-Ära gesehen wird, ist eine Art digitales Tridentinum, in dem sich die Internetkultur soweit reformiert und klärt, dass sie ihren alten konservativen Kritikern und Verweigerern keine Angriffsfläche mehr bietet.

Vielen Dank an @pramesan für diesen Hinweis auf Twitter.

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Die langsamste Zeitung der Welt

San Francisco PanoramaEin Gastbeitrag von Christoph Bieber

Gefühlte anderthalb Kilo wiegt das „SF Panorama” und dass diese „Zeitung” tatsächlich in Deutschland verfügbar ist, verwundert einen dann doch. Zu verdanken ist es Amazon, und eben nicht dem (ehemals) „gut sortierten Buchhandel” – die einmalige Ausgabe dieses bezaubernden Sonderdrucks müssen Liebhaber des gedruckten Wortes über das Internet bestellen. Im Look & Feel einer prall gefüllten Wochenendzeitung kommt die Ausgabe Nummer 33 des hierzulande kaum bekannten “McSweeney´s Quarterly Concern” daher. Die Vierteljahresschrift mit dem Retro-Namen ist eigentlich ein Literaturmagazin, bei dem jede neue Ausgabe in Inhalt und Form massiv von der Vorgängernummer abweicht.

Zudem ist das „Quartely Concern“ Teil eines unwahrscheinlichen Medienimperiums, das auch ein Monatsblatt (The Believer), ein DVD-Magazin (Wolphin) und einen eigenen Buchverlag unterhält – dahinter steht das Medienmultitalent Dave Eggers. Neben den subtilen Beiträgen zur klassischen Verlangsamung der Medienwelt ist McSweeney´s aber auch online sehr präsent, die Website McSweeney’s Internet Tendency wird mittlerweile flankiert von einen Twitter-Account und einer im Halbjahres-Abo verfügbaren iPhone-App.

Anfang Dezember ist nun das San Francisco Panorama erschienen, als Beitrag zur gerade in der Bay Area massiv geführten Debatte um die Zukunft der Printmedien. Lokales Zentrum der „Newspaper Angst“ ist das Schicksal des San Francisco Chronicle, denn das große Westküstenblatt steht am Abgrund – obwohl es täglich gut recherchierten Qualitätsjournalismus liefert, der auch den Blick auf das Weltgeschehen nicht verloren hat.

Der „Beipackzettel“ des SF Panorama, etwa im Format eines LP-Covers gehalten, versammelt Anmerkungen zum Entstehungsprozess (On Design, On Young Readers, On Definitiveness…) und schlüsselt den finanziellen Aufwand für die einzelnen Zeitungsbücher sowie die Druckkosten auf. Außerdem liest sich das „Information Pamphlet“ wie ein Hilfsrezept für die strauchelnden Zeitungsverlage im ganzen Land. Das Understatement dieser Kommentare ist dabei entwaffend – der Schlüssel zur Nachhaltigkeit des Projekts steckt im Angebot seiner Nachahmung.

Die Web-Version des SF Panorama kann die Opulenz des Projektes freilich nur andeuten – und genau das ist auch gewollt:

„We went into this knowing that print has to look different than the internet. (…) A big sheet of paper can give you the big picture and the details all at once.”

Das klingt zwar nach „leicht gesagt”, wird aber mit jedem Blick auf eine beliebige Seite der Einmal-Zeitung nachdrücklich bestätigt.

„Slow“ ist das Blatt nicht wegen des maximal seltenen Erscheinungstermins, die Leser erhalten ein in mehrfacher Hinsicht perfektes Medium. Das Layout ist präzise und verführend zugleich, Hauptteil und Beilagen bestechen durch extreme Schauwerte. Auratisch sind nicht nur die Comic-Seiten, Steven Kings Medititation über die vergangene World Series im angemessen langsamen Baseballsport ist es auch. Dialog und Diskurs hat das Projekt schon vor der Veröffentlichung gesucht – die Titelstory zur neuen Brückenverbindung zwischen Oakland und San Francisco wurde über Spenden an das Portal spot.us finanziert. Ein gutes Beispiel für hochwertige Arbeit, ermöglicht durch community funded journalism – eine hierzulande noch extrem seltene Ausprägung von Prosumenten-Aktivität.

Kurzum: Das San Francisco Panorama ist ein wunderschöner Kontrapunkt aus dem Herzen des globalen Beschleunigungszentrums und der Beweis dafür, dass an der Westküste nicht nur der Twitter-Takt die Medienzeit vorgibt.