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Spanische Revolution

Aber ein Sturm weht vom Paradiese her.
Walter Benjamin

Und ich höre Dich sagen, mehr leise als laut: Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.
Tocotronic (via Dr_Ultra)

In Spanien, gerade einmal 100 Kilometer südlich des Anbaugebietes dieses wunderbaren Sandweins, findet im Augenblick in Spanien eine Revolution nach ägyptischem Vorbild statt (hier der Livestream von der fernen iberischen Halbinsel). Dass aus Ägypten nicht berichtet wurde, trotz der 9 Milliarden Euro öffentlich-rechtliches Rundfunkbudget, ist verständlich. Die Jahre zuvor hatte man Schritt für Schritt die Auslandskorrespondenten in die Selbständigkeit entlassen, so dass am Ende niemand mehr vor Ort war – bis auf Richard Gutjahr -, der vom Tahrir-Platz aus berichten konnte.

Dabei sind die Reporter vor Ort und die TV-Ausrüstung gar nicht einmal die Hauptsache. Wenn ich niemanden dauerhaft im Land habe, fehlen die Quellen, mit deren Hilfe Journalisten Informationen validieren und Trends aufspüren können. Auch wenn ein Sender seine Reporter schnell dorthin einfliegen kann, sind das nicht viel mehr als journalistische Touristen. Die wirkliche Berichterstattung ist schon längst ins Internet (Twitter, Blogs, Facebook) abgewandert und werden von Sendern wie Al Jazeera oder Bloggern gesammelt, geprüft, ausgewertet und interpretiert.

Warum übrigens gibt es keine Berichterstattung über die spanische Revolution? Warum findet diese Revolution nur online statt? Findet sie überhaupt statt oder inszeniert sich hier bloß so etwas wie ein Revolutionsmem, das ebenso inhaltsleer und viral ist wie dieser Werbeclip (“Join the #spanishrevolution”)?

Das erinnert mich an die endlosen Diskussionen in ethnologischen Proseminaren zur Ritualtheorie, ob ein Ritual denn auch dann noch ein Ritual sei, wenn es nur gespielt wird. Wann ist eine Revolution eine Revolution? Niklas Luhmann Spruch “Alles, was wir über die Welt wissen, wissen wir durch die Massenmedien” trifft immer weniger zu. Wenn es nach den Massenmedien geht, läuft in Spanien im Moment alles in den gewohnten Bahnen. Es sind Wahlen und da politisiert sich halt alles ein wenig.

Auf Twitter dagegen ist die Revolution in Westeuropa schon längst zum trending topic geworden, zu dem im Minutentakt Bilder, Parolen und Mikroanalysen gepostet werden. Walter Benjamin hat seinen Engel der Geschichte, der längst nicht so freundlich aussieht wie der Engel des Regensburger Himmelfahrtfensters, mit dem Rücken voran in die Zukunft fliegen lassen. Vielleicht machen es die Massenmedien ja ganz genauso und bemerken die Revolution auch erst, wenn die ersten Trümmerhaufen im Blickfeld auftauchen. Derweil beschäftigen wir uns mit den Sexorgien von Versicherungsvertretern oder Politikern.

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Philosophie Zeitschriften

Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie

οὐ ξυνιᾶσιν ὅκως διαφερόμενον ἑωυτῷ συμφέρεται· παλίντονος ἁρμονίη ὅκωσπερ τόξου καὶ λύρης.
(„Sie verstehen nicht, wie das Auseinandergehende mit sich selbst zusammengeht: gegenspännige Zusammenfügung wie von Bogen und Leier.“) Heraklit

„Das Logische hat der Form nach drei Seiten: α) die abstrakte oder verständige, β) die dialektische oder negativ-vernünftige, γ) die spekulative oder positiv-vernünftige.“ Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften.

“Philosophie, die nicht Selbstzweck ist, versteht sich als kritische Reflexion der Gegenwart. Sie erschöpft sich nicht in der Pflege der Tradition, sondern stellt sich die Aufgabe, aus den theoretischen und praktischen Widersprüchen und Kämpfen ihrer Zeit begründete Orientierungen zu entwickeln.” So stellt Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie. sich programmatisch als Organ einer negativ-vernünftigen, dialektischen Logik dar. Diesem Motto treu behandelt die eben erschienene Nr. 50 als Thema “Ideologiekritik”, nicht ohne gleich auf den ersten Seiten die Sinnhaftigkeit eines solchen Unterfangens selbst in Frage zu stellen.
Absolute Höhepunkte aus 29 Jahren Widerspruch sind für mich die Hefte über “Alternative Ökonomien” (Nr. 47), “Kampf der Kulturbegriffe” (Nr. 40) und ganz besonders “Ökologische Ästhetik” (Nr. 38) – gewissermaßen das theoretische Fundament der Neo-Green-Bewegung. Unverändert lesenswert ist auch das grandiose Sonderheft zum 100. Geburtstag von Walter Benjamin. Wir freuen uns auf weitere 50 Hefte. ‘Mehr Dialektik’!



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