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Moby-Dick von Herman Melville

Moby-Dick or, the Whale“Call me Ishmael.”
Die Spielhandlung von “Moby-Dick or, The Whale” ist knapp, spröde wie der erste Satz des Romans. Wenn man sie jemanden erzählt, der das Buch nicht kennt, muss dieser den Eindruck bekommen, es handle sich um eine Novelle oder Kurzgeschichte. Nicht zuletzt deshalb eignet sich die Geschichte vom Kapitän Ahab, der in seiner Raserei gegen den weißen Wal Schiff und Leben verliert, gut, verfilmt zu werden. Kein Wunder, dass auch ich meine erste Begegnung mit “Moby-Dick” dem hervorragende Europa-Hörspiel zu verdanken habe.

Um diese novellenartige Handlung baut Herman Melville seine Texte, Essays, Reportagen, die oft nur noch sehr lose mit dem Handlungsgerüst verbunden sind. Und diese Textsammlung – denn das trifft den Corpus “Moby-Dick” erheblich besser, als der Begriff Roman – ist es, was mich das Buch immer wieder, jedes Jahr zur Hand nehmen lässt. Neben Zettels Traum und Fluß ohne Ufer” ist es das sloweste Buch, das ich kenne. Empfehlenswert ist die Penguin-Ausgabe mit Einführung, Glossar mit schönen wie aufschlussreichen Abbildungen aus zeitgenössischen Stichen, die insbesondere die nautischen Fachbegriffe schnell verständlich machen.- Man kann es Aufschlagen, und findet Erbauung an jeder Stelle.

Großartig, wie Melville anhand der multiethnischen Seefahrer-Gemeinschaft von Nantucket eine bewunderswerte kosmopolite Toleranz skizziert. Jeder ist beim Walfang akzeptiert, mag der kultureller Hintergrund noch so fremdartig sein. “We canibals must help these Christians.” raisoniert Queequeg, der ozeanische Harpunier und kehrt die koloniale Perspektive damit einfach um. Aus Randnotitzen, wie der Frage nach der Zubereitung der Chowder, “Clam or Cod?”, entwickelt sich ein ganzes Kapitel über fischiges Essen.
Und schließlich entfaltet uns Melville in zahlreichen Passagen geradezu eine Kulturgeschichte des Walfangs, beginnend mit einer Cetologie, der wissenschaftlichen Walkunde, bei der er sich überaus kritisch und kenntnisreich mit der zeitgenössischen zoologischen Forschung auseinandersetzt; um dann aber wieder in eine überaus merkwürdige Methapher abzugleiten, in welcher die Wale mit Büchern einer Bibliothek verglichen werden, von den Folianten – Blauwal und Pottwal – bis zu den Klein-Oktav-Bänden, den Delphinen und Tümmlern.

Bei all der erzählerischen Ablenkung vergisst man jedoch nie, worum es im Buch tatsächlich geht; denn es schwingt stets düster die Vorahnung der Katastrophe mit. Die Namen tragen gleichsam das Geschick ihrer Träger. Der Erzähler Ishmael (“Gott hat erhört die Stimme des Knaben”, Gen 21,17, wird also gerettet, aber:), das Schiff, die Pequot, benannt nach einem im 18 Jahrhundert ausgerotteten Indianerstamm, ihre Eigner, Captain Peleg (hebräisch “Zerteilung”, Gen 10,25) und Bildad (“Auch der Mond scheint nicht helle, und die Sterne sind nicht rein vor seinen Augen: wie viel weniger ein Mensch, die Made, und ein Menschenkind, der Wurm.” Hiob 25,5).

Und nicht zuletzt die tragische Hauptperson, Kapitän Ahab (“Dass Ahab mehr tat, den HERRN, den Gott Israels, zu erzürnen, denn alle Könige Israels, die vor ihm gewesen waren.” 1 Könige 16,33).

Ahab führt uns zum Grundmotiv von Moby-Dick: Erhabenheit; die Erkenntnis der Machtlosigkeit des Menschen vor der Natur.

Zunächst scheint es noch, als sei es vor allem die Natur da draußen, verkörpert durch die wilde See und den Wal, die uns fremd bleibt und feindseelig gesinnt ist. Doch mehr und mehr wird im Laufe der Geschichte klar: es ist unsere eigene Natur, die wir in unserem Inneren tragen, der wir nichts entgegensetzen können. Sie ist es, vor dem wir am Ende des Buches Angst empfinden können.
Anders, als das Holzbein, das Ahab trägt, mit dem er umzugehen gelernt hat, so dass seine Einbeinigkeit für die Mitreisenden nicht mehr als Behinderung wahrgenimmen wird, sind die Verletzungen der Seele nicht offensichtlich. Wir können nur erahnen, welche Schmerzen Ahab auf den Wal projeziert, durch dessen Tod er für sich Erlösung erhofft.

He piled upon the whale’s white hump the sum of all the general rage and hate felt by his whole race from Adam down; and then, as if his chest had been a mortar, he burst his hot heart’s shell upon it.

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Slow theory Sprache

Ein Fall für “slow”: die Disziplin des Übersetzens

Übersetzungen sind ein anschauliches Beispiel für “slowness”. Eine gute Übersetzung braucht all das, was der Slow-Ansatz fordert: Aufmerksamkeit, Konzentration auf des Wesentliche und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einem anderen Medium, einem anderen Menschen, dessen Sprache und Schreiben.

“Uebersetzen – das bedeutet einen langen Umgang mit dem zu Uebersetzenden, mit dessen Sprache überhaupt und mit dessen Sprache im besonderen […]”, schreibt Paul Celan (nicht nur Dichter, sondern auch hingebungsvoller Übersetzer zahlreicher Werke aus sieben Sprachen) 1960 in einem Brief an Adolph Hofmann (s.u. Fremde Nähe, S. 517). Er ist der Prototyp eines “slowen” Übersetzers, der “dem deutschen Leser eine dem Original möglichst adäquate Übersetzung” vorlegen möchte (ebd., S. 509). Um etwas Adäquates wiederzuerschaffen, muss der Übersetzende zunächst das Wesen des zu Übersetzenden erfassen, sich selbst zurücknehmen und zugleich einbringen, dann Sinn und Nebensinn, Rhythmik und Klang abwägen und in entsprechender Gewichtung in der neuen Sprache wieder Gestalt annehmen lassen.

“Slow” bedeutet hier das Ringen um den richtigen Ausdruck, der eben nicht immer auf der Hand liegt. Hier ein konkretes Beispiel:

Für den S. Fischer Verlag übersetzte Celan mit seinem Koübersetzer Kurt Leonhard Werke des Franzosen Henri Michaux. Die letzte Zeile des Textes “Hospitalité” (“Gastfreundlichkeit”) lautet im Französischen: “et cet homme avait un air mauvais…”. Avoir l’air gehört zu den französischen Wendungen, die im Deutschen kein Äquivalent haben. Es wird damit ein unkonkreter Eindruck beschrieben: “den Eindruck machen”, “den Anschein haben”, “so wirken als”. Eine weitere Schwierigkeit stellt für das Übersetzen der unbestimmte Artikel “un” dar, denn so kann “air” auch als “Miene”, “Ansehen” gelesen werden. Das Typoskript der Übersetzung, das im Marbacher Literaturarchiv verwahrt wird, zeigt diese Schwierigkeit bereits in Leonhards Übersetzungsentwurf und in der Überarbeitung mit Celan. Er versucht es mit verschiedenen Varianten, die er nach und nach mit der Schreibmaschine durch-x-t und mit Stift durchstreicht (das Typoskript ist ein Durchschlag mit handschriftlichen Korrekturen Leonhards und Celans, der auf herrlich analoge Weise den Prozess der Textgenese noch nachvollziehen lässt):

…und dieser Mann sah irgendwie böse aus… schien böse zu sein… hatte einen bösen Zug… machte eine böse Miene… sah böse aus. [Die letzte Korrektur von Celans Hand dann:] es lag etwas Böses im Ausdruck dieses Mannes.

Das ist der Weg, den eine Übersetzung manchmal gehen muss. Fehlt diese Haltung, aus Unaufmerksamkeit oder aus Zeitmangel, wirkt sich das direkt auf die Übersetzung aus.

Was ist nun eine Übersetzung, die nicht “slow” ist? Die merken Sie daran, dass Sie sie merken. Sie spüren, dass es eine Übersetzung ist, sie hat keinen eigenen Körper. Während Sie einen Krimi lesen, irritiert Sie etwas, Ihre Aufmerksamkeit ist abgelenkt und Sie überlegen, wie die Stelle wohl im Original hieß. Manchmal wissen Sie es auch sofort und lesen durch die deutschen Worte hindurch die englische Wendung.

Wieviele Arten und Haltungen es gibt, sich einer Übersetzung anzunehmen, und wieviel Stoff Übersetzungen für Auseinandersetzungen geben, zeigt die Geschichte der deutschen Übersetzungen von Mevilles “Moby Dick“: Auslassungen, Entwertungen, Umdichtungen und Beschönigungen streiten da bis heute um ihr Recht, das Original adäquat wiederzugeben.

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Die Bände 4 und 5 der Gesammelten Werke von Paul Celan enthalten seine Übertragungen aus sieben Sprachen – darunter Shakespeares Sonette, die “Junge Parze” von Paul Valéry, Lyrik von Rimbaud, Ossip Mandelstamm und französischen Zeitgenossen. Die frühere 5-bändige Ausgabe der Gesammelten Werke ist auch über das ZVAB (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher) erhältlich.

Quelle: “Fremde Nähe: Celan als Übersetzer.” Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar und im Stadthaus Zürich (= Marbacher Kataloge 50. Hrsg. von Ulrich Ott und Friedrich Pfäfflin), Ausstellung und Katalog Axel Gellhaus und Rolf Bücher, Sabria Filali, Peter Goßens, Ute Harbusch, Thomas Heck, Christine Ivanović, Andreas Lohr, Barbara Wiedemann, Marbach am Neckar 1997.