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Hausgäste

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Ein erster, persönlicher Bericht vom Piemonter Share Art Festival in Turin

“Let us invite you to bring the family, the grandparents and the children, and sit on our open-source furniture, relax, even eat something. Fill a wine glass with tomorrow.”
Bruce Sterling

ShareEin Jahr ist es her, dass ich nach Turin gereist bin, um der Eröffung der ‘Casa Jasmina’ beizuwohnen, einem Musterhaus für digitale Open Source Haushaltstechnologie. Durch Bemerkungen bei Vorträgen hatte ich von Bruce Sterling, dem Initiator des Projektes davon erfahren. Wie viele ‘Cyber-Kinder’ war ich Bruce und seinen Gedanken über dreißig Jahre lang mehr oder weniger lose gefolgt. Auch wenn ich immer wieder einige seiner Ideen inspirierend fand, sie in meine Vorträge oder Blogposts eingebaut habe, war es erst sein Buch “Shaping Things“, mit dem ich wirklich etwas für meine Arbeit anfangen konnte. Shaping Things ist ein schmales Bändchen, eher ein Essay. Es war, soweit ich weiß, die erste umfassende Betrachtung, was wirklich passieren würde, wenn die Digitalisierung sich aus der Gefangenschaft des Web befreien und die Welt der physischen Dinge erobern würde, um daraus das ‘Internet of Things’ entstehen zu lassen. Aber vor allem sprach er davon, wie Dinge dann beschaffen sein müssten, um “freundlich” zu bleiben, gutmütig, trotz des totalitären Wesens gobaler Vernetzung und lebensumfassender Datenerhebung.

In Form der Casa Jasmina hatte Bruce angekündigt, gemeinsam mit Jasmina Tešanović, der Namensgeberin der Casa, seine Designtheorie in die Praxis eines wirklich bewohnbaren Hauses zu übersetzen. Es ist eine Sache, über Dinge zu schrewiben, eine ganz andere aber, etwas derartiges in der körperlichen Welt zu bauen, mit allen Einschränkungen, die die Conditio Humana einem dabei auferlegt. Es ist also wenig überraschend, wenn die ‘Casa’, die ich an ihrem Eröffnungstag vorfand eher ein Resonanzraum für unsere Visionen und Erwartungen war, als ein tatsächliches Heim.

Heute, ein Jahr später, hat sich die Casa Jasmina zum offiziellen Veranstaltungsort des Piemonte Share Art Festival entfaltet. Luca Barbeni, der das Share.to seit seinem Start 2006 kuratiert hatte, war nach Berlin ausgewandert, um dort seine NOME Gallery zu gründen, und Bruce Sterling war an seine Stelle als künstlerischer Leiter getreten, um das Festival in Turin gemeinsam mit dessen Co-Gründerin Chiara Garibaldi zu leiten. Dabei sollten sie illustre Unterstützung erhalten, wie etwa von Paola Antonelli, Kuratorin am New Yorker MoMA oder Astronauten-Star Samantha Cristoforetti. Und passend zum Ort legte Bruce fokussierte Bruce die Ausstellung auf “Kunst und Technologie für zu hause”.

Die ‘Casa’ und ihre Bewohner sind ausgesprochen gastfreundlich, und das Willkommen, das wir dieses Mal erleben durften, stand vergangenen Besuchen in nichts nach. Moderne Kunst hatte von Anfang an mit dem Häuslichen zu kämpfen – die meisten zeitgenössischen Kunstwerke sind schlichtweg ungeeignet für normale häusliche Verhältnisse. Diese Eigenschaft hat die Kunst mit Digitaltechnik gemein. Obwohl die meisten Leute “Computer”, ehedem PCs, heute Smartphones und Tablets auch zu hause nutzen, sind diese Geräte nie zu einem integrierten Teil der Haushaltsausstattung geworden. Unsere Digitaltechnik ist unverändert eher Teil unseres Outfits, mehr Accessoir als Haushaltsgerät. Es ist teilweise der überheblichen Anmaßung geschuldet, in der beide – Tech und Kunst – alle Aufmerksamkeit verlangen, ihre apodiktische Moral verkünden, wodurch meiner Ansicht nach beide so schwer erträglich sind, wenn wir sie in den beschränkten Platz unserer vier Wände zwängen. Jasmina Tešanović hat ihre Klage darüber in ihrem flammenden Manifest “Die sieben Wege des Internet of Women Things” zum Ausdruck gebracht, dessen Übersetzung wir ebenfalls auf diesem Blog veröffentlicht haben.

“House Guests” ist der Titel der Ausstellung, und entsprechend geht es hier mehr um das bequeme Zusammenleben von Kunst, Technologie und Menschen, als um Kunst an sich. (Daher möchte ich eine Kritik der Kunstwerke auch auf einen späteren Artikel vertagen).

Video art from seditionart.com displayed on iPads in a frame. Here: Rose Throb by Claudia Hart.
Video-Kunst von seditionart.com auf iPads in einem Ramen. Hier: Rose Throb von Claudia Hart.

In der Ausstellung finden sich zweierlei unterschiedliche Formen von Kunstwerken: Physische Objekte und Videos. Acht Videos, die aus der Online-Kunstplattform seditionart.com stammen, laufen auf weißen iPads, die an der Wand hängen. Diese acht Videos sind nicht interaktiv, lediglich Bewegtbild. Es wäre also genauso gut möglich gewesen, sie einfach der Reihe nach auf einem Laptop laufen zu lassen, an die Wand zu beamen, oder sie auf irgendeinem digitalen Bildschirm zu zeigen. Stattdessen waren die einzelnen iPads in schwarze Halskrausen gerahmt, die Größe etwa die doppelte Bildschrimdiagonale, ähnlich dem bürgerlichen Tafelbild. Die Schwierigkeit mit Video-Bildschrimen, und speziell mit den Bildschirmen von Mobilgeräten wie den iPads ist die totale Beherrschung des Inhalts darauf durch das Medium. McLuhans Beobachtung gilt unverändert, dass Dinge im Fernsehen zu allererst TV sind, und erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, der Inhalt, wie etwa ein Spielfilm oder Nachrichten. Diese mediale Festgelegtheit gilt in viel geringerem Maße für Gemälde, Zeichnungen, Drucke oder Skulptur, für die ihr Materia lediglich ein Aspekt eines größeren Ganzen darstellt. Und trotz ihrer voluminösen Krägen haben auch die iPads in der Casa Jasmina nicht viel von ihrer hypnotischen Qualität verloren. Die Kunst darauf verblasste unter dem wunderschönen Flimmern ihrer brillianten Technologie. Diese pornografische Dominanz des Mediums ist auf jeden Fall ein Thema, mit wir uns bei Kunst im digitalen Zeitalter auseinandersetzen müssen.

Catharina Tiazzoldi, Algorithmic Domesticities
Catharina Tiazzoldi, Algorithmic Domesticities
Verglichen mit dem Solipsismus der Videos ging es bei den physischen Objekten sehr viel mehr um wirkliches Zusammenleben. Tischtücher mit algorithmischem Design, Teller mit Dekor, vom Quantified Self inspiriert, Musikinstrumente auf Basis von Microsoft Kinect: Alle möglichen Formen von “zahmer Technologie”, die sich unter die bereits in der Casa vorhanden Gegenständen aus dem Maker Space im Nachbarhaus mischten. Der Anspruch der Kunst in der Casa Jasmina ist nicht hoch, und wir bekommen keine Kunstrevolution verkauft. Während etwa die kürzlich verstorbene Zaha Hadid und ihr Partner Patrik Schumacher den Parametrizismus als das zukünftige Paradigma von Architektur, Design und der ganzen Menschheitskultur schlechthin erklären, gehen die Objekte in der Casa Jasmina eher spielerisch mit den neuen, kreativen Möglichkeiten um, als die nächste Große Erzählung abzuliefern.

AL.TIP slr, Semaforo.A night lamp in maker design.
AL.TIP slr, Semaforo.
Eine Nachttischlampe im Maker Design.
Bei der Kunst in der Casa Jasmina geht es also nciht so sehr um Kunst, sondern um das heimische Haus. Das eigentliche Kunstprojekt ist die ganze Casa selbst, mit allem, das dort von Anfang an stattgefunden hatte. Wie Bruce damals gefordert hatte: Es geht darum, menschliche Werte in technische Gegenstände einzubetten. Gemeinsam mit dem Schöpfer des Arduino Massimo Banzi kämpft Bruce für eine ethische Technologie, die er vor kurzem in einem “IoT Manifest” zusammengefasst hatte: Dinge sollen offen bleiben und einfach zusammenarbeiten. Auch wenn die Sstandardisierung der Benutzeroberfläche der Smartphones einen klarer Vorteil der Produkte von Apple darstellt, so möchte doch wohl kaum jemand erleben, dass die Vielfalt der Kunst durch bevormundende Sterilität eines iTunes Store planiert wird. Eng damit ist die zweite Forderung verbunden, die Nachhaltigkeit. Was nützt eine LED-Lampe zwanzig, die Jahre lang brennen könnte, wenn die Software darauf, die sie “Smart” machen soll, nach zwei Jahren veraltet ist und die Lampe vielleicht sogar unbenutzbar macht? Die geplante verkürzung der Lebensdauer von Hard- und Software war von Anfang an ein Geschäftsprinzip in Silicon Valley. Dabei geht es hier nicht einfach nur um Öko-Lamento, wie neulich erst eindrucksvoll von Google bewiesen wurde, als ältere Gerate der Marke ‘Nest’ ferngesteuert unbenutzbar gemacht wurden, um deren Besitzer zu zwingen, sich neue zu kaufen. Die dritte Forderung ist Fairness. Technologie darf die Menschen nicht ausspionieren. Ich glaube, diese Forderung kann nur verwirklicht werden, wenn wir zentralistische Strukturen für die vernetzte Technik verhindern. Nur wenn wir es schaffen, Netze aus dezentralen, verteilten und autonom funktionierenden Geräten zu spannen, werden wir unsere Privatsphäre zu hause verteidigen können.

Für viele Menschen hat sich zeitgenössische Kunst schon längst aus ihrem Leben verabschiedet – intellektuell abgehoben, einzig der hermetische Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit, abgeschlossen und geschützt durch Urheberrecht und geistiges Eigentum – Bitte nicht berühren! Digitaltechnologie entzieht sich ebenfalls unseres Zugriffs. Wen wir die glänzenden Gehäuse der digitalen Geräte öffnen, verwirken wir die Garantie. Die Kunst und Technik in der Casa Jasmina ist offen, freundlich, eine einfache Hausgenossin. Man könnte sagen, dass es ihr an der großen Geste fehlt; sie ist nur komfortabel. Vielleicht ist das aber genau der Punkt. Wir werden wieder interessant gestaltete häusliche Gegenstände bekommen, die nicht einfach nur designte Markenprodukte sind, sondern maßgefertigt an ihre Besitzer angepasst, die ihre Gemachtheit sehen lassen, statt sie ellegant zu verschleiern. Was wir erleben, ist der Aufstieg einer neuen Arts&Crafts-Bewegung. Wie ihr Vorläufer vor 120 Jahren, steht auch Neo-Arts&Crafts gegen den glatten Perfektionismus der industriellen Massenfertigung, und ebenso wie damals, nicht in einem Rückschritt zu vorindustrieller Handwerklichkeit, sondern unter Ausnutzung der neuen Methoden und Werkzeuge unserer Zeit. Und im Gegensatz zum Maker Movement, aus dem sie hervorgegangen war, wird es bei Neo-Arts&Crafts weniger um Technolgie gehen, und viel mehr um Handwerkskunst. Diese Art Nouveau heißt auf deutsch Jugenstil oder Reformstil. Bei der Reform ging es darum, wieder eine bewohnbare Umwelt zu schaffen, in der Menschen ein glückliches und gesundes Leben führen konnten. Wenn Neo-Art-Nouveau ähnlichen Zielen folgen sollte, indem sie offen, nachhaltig und fair ist, bin ich überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird. Weit mehr als der Parametrizismus und andere akademische Konzepte, die Kunst wieder zu erfinden, hat diese Kunst das Potenzial ein wesentliches Paradigma der Post-Internet Kunst zu werden.

Und jetzt will ich mehr davon sehen!

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Die Moderne ist unsere Antike

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(1) “A Vernacular is like a crumbled streetversion of a classic language. Like Italian is a vernacular language and Latin is a classic language. What does acutal vernacular online video sound like, that’s native to the Internet and speaks vernacular Internet ease? I’ll just read you the categories of an unnamed [Online Video Network] here: ‘LOL, OMG, WTF, Cute, Games, Geeky and Trashy’. Those are actual terms, coined on the Internet. Now, you could think, to be classy, you would like to expunge that vernacular, and instead of them saying ‘LOL’ they should say something like ‘commedy’, instead of ‘OMG’ something like ‘experimental’. – Allright. That’s not how it works. It is a little hard to understand this, but the actual path to classiness is to upgrade the vernacular. You have to get through LOL, OMG, WTF, Cute, Games, Geeky and Trashy and somehow come out the other side. You have to make network culture classy on its own terms. You have to ennoble the vernacular – not by teaching people Latin, but by writing Dante’s Inferno!”
Bruce Sterling, Closing Keynote: Vernacular Video from Vimeo Festival. (Mein Transkript)

(2) klassisch zu lat. classis “militärisches Aufgebot; Abteilung; Klasse” stellt sich das Adjektiv classicus “die ersten Bürger-Klasse betreffend …
Duden, “Das Herkunftswörterbuch”

(3) “Die Moderne ist unsere Antike” – unsere Klassik
Mantra von Roger M. Buergel als Kurator der Documenta 12

“Der Gedanke, heute eine internationale Ausstellung der Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu veranstalten, liegt so nahe, daß er keine nähere Begründung zu erfordern scheint.”, leitet Werner Haftmann den Katalog zur ersten Dokumenta 1955 in Kassel ein. Offenbar war den Machern dieser ersten Kunst-Großschau ganz genau klar, was die Kunst ihres Jahrhunderts ausmacht. Nach dem Rundgang über die Documenta 12 war ich mir dagegen darüber klar, dass dies die letzte Dokumenta gewesen sein würde, die ich besuchte. Hatten die Kuratoren der drei Vorgänger-Ausstellungen wohl noch versucht, mit der Documena ein Bild der Kunst von heute zu zeichnen – und waren jeder auf ihre Art gescheitert, so hatte die Ausstellung 2007 aufgegeben, etwas wie “klassische Kunst unserer Zeit” zu definieren. Was zunächst wie Nachlässigkeit oder Denkfaulheit des Kurators wirken mag, erscheint mir heute als Symptom für einen Umbruch in der Kunst, die in ähnlicher Weise erschüttert wird, wie die Medien, die Musikindustrie und all die anderen sogenannten Kreativ-Bereiche.

Die Moderne – die Kunst der Neuzeit, wie sie sich in den letzten dreihundert Jahren entwickelt hatte – ist unsere Antike, genau, wie Roger Buergel es sagt. Ähnlich, wie das scholastische Festhalten an der Antike noch weit in die Neuzeit hinein das Denken und Schaffen des Abendlandes beherrscht hatte, gelten uns die neuzeitlich-modernen Begriffe und Kategorien immernoch als Maß für “klassiche” Qualität. Bestandsaufnahmen und Zustandsbestimmungen zeitgenössischer Kunst münden entweder in blutleeren Formalismus, wie etwa das jüngste Kunstforum, oder enden in totaler Beliebigkeit, wie eben die letzte Dokumenta.

Ratlos blickt man sich um: muss es nicht etwas geben, das an die Stelle des Alt-Ehrwürdigen tritt? Eine neue Generation? Eine neue Richtung? Bruce Sterling gibt uns die Antwort, in seiner fast einstündigen Rede zum Abschluss der Vimeo-Konferenz. Das Neue ist schon da, und zwar als Mundart, Volkssprache, Räubersprache, kurz: es steht außerhalb der klassischen Kultur. Das Neue findet sich in der Vernakular-Kultur des Netzes.

Man mag einwenden, dass diese Erkenntnis weder neu noch originell ist; dass das Internet die Kultur durch und durch umkrempelt, davon sprechen ganze Jahrgänge von Wired und tausende von Stunden TED-Konferenz. Aber Sterling sagt etwas anderes: Um das Neue zu erkennen, müssen wir darüber sprechen können. Die (Fach-)Sprache der Kulturwissenschaften und der Kritiker ist aber immernoch die Lingua Franca der Moderne. Gleichzeitig ist das Vernakular der Netzkultur noch nicht viel mehr, als ein Jargon.

Die Formen der zukünftigen Kunst (falls man diesen durch Genie-Kult und bürgerlichen Produktionsprozess ohnehin korrumpierten Begriff überhaupt perpetuieren möchte) können unter anderem so etwas wie Urban Art oder Generative Art sein – Favela Chic, um mit Sterling zu sprechen – oder der der Netzkultur eigentümliche Eklektizismus, die Bricolage, das Collagieren, der Punk – Sterlings Gothic High Castle.

Diese Vernakularkultur unterscheidet sich insbesondere durch ihre Produktionsbedingungen von der klassischen zeitgenössischen Kultur. Der klassische Schriftsteller, Künstler oder Komponist erhält seine Entlohnung durch juristisch saktionierte Transfersysteme wie GEMA, VG Wort, VG Bild/Kunst – oder er ist direkt beim Staate angestellt, als Professor, als Mitglied eines Staatsorchesters oder als Rundfunkredakteur. Dagegen steht die viel bejammerte scheinbare “Kultur des Kostenlosen” der Blogs, der Online Videos, der Remixes und Covers, des sogenannten “Bürgerjournalismus” und so weiter und so weiter. Und obwohl es manchem als naheliegend erscheinen mag, der vernakularen Kreativität des Netzes die Produktionsweise der klassischen Kultur zu übertragen, ist dies doch zum Scheitern verurteilt: die Kategorien der alten Welt greifen nicht mehr; die Menschen wollen kein Latein mehr sprechen, weil ihnen Italienisch in viel flüssigerer Weise Ausdruck verleiht.

Enhances
“Stand on the shoulders of Giants”
Accessibility of knowledge
Retrieves
everybody a publisher
oral tradition
dilettante / amateur

Non-Commodity-
writing

(Decay of Copyright)

Reverses
Bricolage (Ecclecticism)
Generative Art
New definition of Public Space
Obsolesces
Assembly-line book
mass-marketing for books
book-fairs

In der Tabelle links habe ich versucht, diese Entwicklung mit der Tetrade von Herbert Marshall McLuhan zu interpretieren:

Als Folge dieses Wandels wird es allerdings nur noch wenig große Romane geben, nur selten wird jemand das Risiko auf sich nehmen, einen teuren, abendfüllenden Spielfilm zu produzieren oder mit einem Orchester ein sinfonisches Werk der Musica Viva einstudieren. Was wir erleben, ist die Rückkehr des Dilettanten, durchaus im besten Sinne, des Enthusiasten; “Everybody a Publisher” bedeutet: Non-Commodity-Production of Culture.

Mehr dazu:
“So literature collapses before our eyes” – Non-Commodity Production
Das Ende der Geschichte – für Kreativ-Berufe.

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Bücher Kunst

Kunstbücher im Digitaldruck

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In der Debatte um den Medienwandel und die zukünftige Bedeutung des Internet konnte man in letzter Zeit den Eindruck gewinnen, das Zeitalter des Drucks sei nach 500 Jahren an seinem Ende angekommen. Tatsächlich befinden sich viele Branchen, die von gedruckten Medien leben, seit Beginn des digitalen Zeitalters auf dem Rückzug: Zeitungen, Zeitschriften, Tiefdruck und sogar der Offsetdruck, wie die finanzielle Schieflage in die der Weltmarktführer Heidelberger Druckmaschinen 2009 geriet, eindrucksvoll zeigt.

In den klassische Verfahren ist die Erstellung der Druckformen der größte Aufwand beim Druck – gesetzte Buchseiten, Kupferstiche für die Abbildungen oder heute die Herstellung der Druckwalzen im Offsetdruck. Die Folge: je größer die Auflage, desto günstiger wird der Druckpreis pro Stück. Jeder, der schon einmal etwas hat auf klassische Weise drucken lassen, kennt sinngemäß die Aussage der Druckerei: “ob sie 1000 oder 2000 Stück drucken kostet dasselbe”.

Die Folge: auch hochwertige Bücher, die nur einen kleinen Kreis von Lesern ansprechen werden in Auflagen zu tausenden gedruckt obwohl nur wenige hundert für den vorgesehenen Preis verkauft werden können. Die Restauflage eines Kunstkatalogs, für den seine Käufer bereit sind, 98 Euro zu zahlen, wandert dann für 14,95 ins moderne Antiquariat. Jeder, der einmal ein teures Buch gekauft und wenig später – druckfrisch und orginalverpackt – auf dem Wühltisch bei Weltbild oder Zweitausendeins verramscht findet, wird in Zukunft zweimal überlegen, ob es sich nicht lohnt, etwas zu warten. Aus Marketing-Sicht eine Katastrophe! Und darüber hinaus ist es auch aus ökologischer Sicht bedenklich, ständig Restauflagen zu produzieren, mit giftigen Druckertinten, hohem Energieaufwand und der Menge Papier, die dabei verschwendet werden.

Digitale Druckverfahren wie Laser- oder Tintenstrahldruck bringen Text und Bilder ohne Druckformen aufs Papier, direkt aus der digitalen Datei – einem Pdf, einem Word-Dokument etc.

In den letzten dreißig Jahren hatte sich zunächst der Publikationsprozess an die digitalen Möglichkeiten angepasst. “Desktop Publishing” war das Schlagwort in den achziger Jahren, Database Publishing das der Neunziger und in den letzten zehn Jahren brachte das Internet das Contentmanagement bis hin zum sogenannten “Real Time Publishing”, der Veröffentlichung in “Echtzeit”, unmittelbar und sofort vom Laptop aus auf die Website. Stück für Stück hat sich dadurch das Publizieren von Papier und Druck entfernt.

Digitale Drucktechnik konnte es lange nicht mit dem Offsetdruck aufnehmen – weder an Geschwindigkeit noch an Druckqualität. Doch in der allerletzten Zeit hat sich dies geändert.
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In den letzten Wochen war ich in ein großes Ausstellungsprojekt involviert: Hundert Meisterwerke für Haiti – eine Benefizveranstaltung, die mit Unterstützung der Rotarier in München von unserer Galerie Royal ausgerichtet wurde.

Ein so kurzfristiges Projekt profitiert besonders von den Möglichkeiten des Digitaldrucks. Die Vorbereitungszeit dieser Hilfsaktion ist extrem knapp – den Umständen einer plötzlichen Katastrophe wie dem Erdbeben, dessen Folgen gemildert werden sollen, entsprechend.

Zunächst mussten vierzig namhafte Künstler gefunden werden, die bereit waren, die hundert Kunstwerke beizusteuern. Die Kunstwerke wurden Fotografiert, die Abbildungen bearbeitet und alle in dieselbe Auflösung gebracht. Die korrekte Beschreibung zu jedem Kunstwerk und die Biografie jedes Künstlers musste recherchiert, ein Preis in Verhandlung mit den Künstlern festgelegt und diese Informationen in standardisierter Form in einen begleitenden Text zu jedem Bild verfasst werden. Grafik und Layout wurden gleichzeitig von der Grafikexpertin Gisela Knobel entwickelt, in enger Abstimmung mit dem, auf digitale Produktion spezialisierten Druckdienstleister MSDD, der den Druck- und Postproduktionprozess übernimmt.

Digitale Druckmaschinen wie die hp Indigo, auf der auch der umfangreiche Katalog zur Ausstellung gedruckt wurde, produzieren genauso schnell, wie klassische Druckmaschinen. Unterschiedlichste hochwertige Papiersorten kommen ebenso zum Einsatz, wie Sonderfarben, die für eine realistische und brilliante Reproduktion sorgen.

Die Produktion dieses Kataloges – Erstellung von Bildern, Text, Layout und Druckvorstufe, schließlich Druck, Bindung und Fertigstellung durfte nicht länger als zehn Tage dauern, sonst wäre zur Ausstellung keine gedruckte Publikation vorgelegen. Ein solcher Zeitrahmen wäre im klassischen Druck schlicht unmöglich.

Dabei nutzen wir für diesen Katalog nur einen kleinen Teil der zusätzlichen Möglichkeiten, die Digitaldruck im Vergleich zum klassischen Offsetdruck bietet. Digital gedruckte Bücher können praktisch ohne Zusatzkosten individualisiert hergestellt werden, d. h. jedes Buch genau mit den Inhalten, die der Käufer möchte. Für die Kataloge großer Sammlungen oder Museen könnten aus den bestehenden Inhalten eine Vielzahl von Spezialkatalogen angeboten werden: Didaktische Arbeitshefte für den Unterricht, die z. B. nur eine bestimmte Epoche umfassen, Kataloge, die genau die aktuelle Hängung berücksichtigen, d. h. die Kunstwerke genau in der Reihenfolge zeigen, in der die Besucher der Ausstellung sie in den Räumen vorfinden – der Kreativität sin d hier keine Grenzen gesetzt. Und die Kataloge könnten immer auch die neusten Anschaffungen der Sammlung berücksichtigen – sie würden nie veralten.

Bücher sind praktisch, sie brauchen keinen Strom, sind ziemlich Robust, sie stürzen nie ab und sind bei guter Pflege auch nach Jahrhunderten noch gut lesbar. Die Materialität verleiht den Büchern ihre angenehme, haptische Qualität – sie liegen gut in der Hand. Gedruckte Bilder besitzen eine Auflösung und Farbwiedergabe, die Bildschirme heute und vermutlich noch lange in die Zukunft nicht erreichen können. Und doch schienen die Bücher durch die Geschwindigkeit und leichte Verfügbarkeit des digitalen Publishing, vor allem im Internet, plötzlich veraltet, langsam und träge.

Digitaldruck wurde bisher vor allem für Akzidenzdrucksachen eingesetzt – personalisierte Webemailings, Prospekte, Visitenkarten und so weiter. Heute kann digitale Produktion den Buchdruck revolutionieren – das Buch von den Fesseln seiner Produktion befreien und ihm Flügel verleihen, wie Amor der Schildkröte auf unserem Emblem!

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