Categories
Alltag Slow theory

Slow Down Week

Die Slow-Media-Bewegung gewinnt allmählich an Kontur. Gerade eben habe ich auf der Adbusters-Webseite ein sehr schönes Plädoyer für eine “Slow Down”-Woche gefunden. Das Video hat bei mir ehrlich gesagt keinen bleibenden Eindruck hinterlassen (abgesehen von der Tatsache, dass es nicht auf anderen Webseiten eingebettet werden kann – vielleicht eine bewusste Verlangsamung der Verbreitung?), dafür ist der Text umso besser. Denn hier wird gerade nicht für eine elektronische Devolution geworben, sondern dafür, unser modernes Leben anders zu leben:

To slow down, we don’t have to stop moving – we just have to move in different, more meaningful ways.

Das könnte man auch als Essenz unseres Manifests lesen. Es geht gerade nicht um eine Rückkehr zu einer vormodernen Mediennutzung, sondern darum, die medialen Angebote des 21. Jahrhunderts bewusster und besser zu nutzen. Was für den Kaffeekonsum gilt – “Chat with the owners, smile at a stranger and sip your latte from a mug rather than dashing off with a cardboard cup” – sollte meiner Meinung nach auch für den Medienkonsum möglich sein.

Categories
Slow theory

Alles slow auf der Berlinale

Dieses BZ-Interview mit den Organisatoren der 60. Berlinale Dieter Kosslick, Christoph Terhechte und Wieland Speck ist schon etwas älter, der Absatz über Slow Media von Kosslick ist mir aber erst jetzt aufgefallen:

In zwanzig Jahren werden wir wahrscheinlich Overalls tragen wie die Leute von der BSR, weil wir dann nämlich die audiovisuelle Datenmüllabfuhr sind, als Kuratoren. Als Programmmacher. Wir brauchen nicht nur slow food, sondern auch slow life und slow see und alles slow. Die Maschinen bringen den Menschen in Situationen, wo sie nicht mehr reagieren können. Wir als Filmfestival sortieren gewissermaßen die Spams raus und versuchen, etwas anzubieten, was Sinn ergibt. Ich dachte immer, dass Filmfestivals auch wichtig wären, weil sie gesellschaftliche Treffpunkte sind. Aber diese Funktion gerät in den Hintergrund gegenüber der Aufgabe zu kuratieren, Programm zu machen.

Abgesehen von der spannenden Idee einer Berlinale, die sich ganz auf Slow Movies konzentriert, finde ich den letzten Punkt auch für die Debatte über Social Media wichtig: Man sollte Social Media nicht auf den Social-Aspekt reduzieren, sondern immer auch den Media-Aspekt beobachten. Denn es wird in Zukunft viel stärker um das Kuratieren von Inhalten, Gedanken und Erlebnissen gehen – eine Funktion, die von Menschen nach wie vor besser (anders?) geleistet werden kann als von Maschinen.

Obwohl der Kurator nah am Redakteur ist, finde ich den Begriff für die digitale Kultur passender. Der Kurator bewegt sich nicht innerhalb der starren Grenzen eines Mediums, sondern zu seinen Aufgaben gehört gerade auch das Entwerfen und Gestalten angemessener Ausstellungs- Wissens- oder Erfahrungsräume – real wie virtuell -, wofür dann wiederum eine Debatte über neue Medienkompetenz erforderlich wird. Außerdem eine Debatte über Medienverantwortung – weil man hier nicht nur Programmchef der eigenen Biographie wird, sondern – hier kommt dann der Social-Aspekt wieder hinein – auch der Medienrealität anderer Leute.

Categories
Religion Slow theory Zeitungen

Das iPad und die digitale Gegenreformation

Hl. Ignatius von LoyolaEine der spannendsten Gedanken zum iPad war in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen (und teilweise auch hier zu hören). Darin beschreibt Frank Schirrmacher das neue Wundergerät von Apple – angekündigt wird es als magisch und revolutionär – als erste digitale Medienplattform mit Slow-Media-Features.

Das immer wieder bemängelte fehlende Multitasking, die wenigen Geräte-Schnittstellen und die vergleichsweise wenigen veränderbaren Benutzereinstellungen verwandeln sich nämlich im Kontext der Slow-Media-Bewegung zu einem zukunftsweisenden Feature-Set, das eine viel stärkere Konzentration auf die abgerufenen (immer häufiger: gekauften) Inhalte fordert. Damit macht dieses Gerät vielleicht tatsächlich digitale Medien auf eine Weise rezipierbar, die bislang Medien wie dem gedruckten Buch vorbehalten war:

Jetzt verkörpert die Hardware diese Philosophie. Multitasking ist Körperverletzung, lautet ein heftig umstrittener Satz. Apples Hardware verschont den Konsumenten, indem sie ihm gar keine Wahl zum Multitasken gibt. Allein das ist ein Bruch mit der klassischen Cyber-Anthropologie, in der der Mensch sich seine Welt bis in die Mikrostruktur zusammenstellt.

Paradoxerweise hört man bis jetzt vor allem die Stimmen derer, die mit diesem Gerät vermutlich gar nicht gemeint sind. Nicht die knapp 10 Prozent “jungen hyperaktiven” Routineonliner scheinen hier die Zielgruppe zu sein, sondern die Selektiv- und Randnutzer, für die das Internet kein Social Network, sondern eine digitale Bibliothek ist. Für die 71% der deutschen Online, die angeben, nie Social Networks zu verwenden, oder die 91%, die nur minimal in das “Mitmachnetz” involviert sind.

Ich glaube, dass Frank Schirrmacher in einem Punkt irrt. Er bezeichnet das iPad als “Restauration”. Das stimmt nicht. Das iPad bringt uns nicht zurück ins Gutenberg-Zeitalter. Nicht einmal in die Nähe davon.

Was wir hier erleben, ist eine Gegenreformation, in der nicht die alte Ordnung wiederhergestellt wird, sondern eine Radikalisierung, Expansion und innere Erneuerung der digitalen Kultur. Die Einführung des iPad, die von einigen Kommentatoren bereits als Ende der PC-Ära gesehen wird, ist eine Art digitales Tridentinum, in dem sich die Internetkultur soweit reformiert und klärt, dass sie ihren alten konservativen Kritikern und Verweigerern keine Angriffsfläche mehr bietet.

Vielen Dank an @pramesan für diesen Hinweis auf Twitter.

Categories
Bücher Musik Webseiten

Bachs Kantatenwerk

Bach Cantatas Website“Aber gerade in diesem Augenblicke erwacht das antike Ideal des Zusammenwirkens von Dichtkunst und Musik zur dramatischen Darstellung der religiösen Ideen noch einmal zu neuem Leben und bezaubert die protestantische Kirchenmusik. Es zieht ihr voran mit dem Reize des großen Ideals, zugleich aber auch in dem Unvermögen der deutschen Poesie jener Zeit.” (Albert Schweitzer)

Das Kantatenwerk von Johann Sebastian Bach gehört für mich zu seinen spannendsten Werken, da er mit den gut 200 Kantaten eine ganze musikalische und liturgische Welt aufspannt. Jeder Sonntag erhält in einer eigenen Kantate musikalisch seine Form. Damit entsteht ein immergleicher Zyklus von Kantaten, der sich jedes Jahr wiederholt, zugleich aber dem Zuhörer mit jedem Umlauf neues zeigt. Ein äußerst langsamer Kreislauf, der überraschenderweise neben dem wunderbaren Einführungsbuch von Alfred Dürr auch im Internet seinen Niederschlag gefunden hat.

Die “Bach Cantatas Website“, auf den ersten Blick eine schroffe, Web 1.0-Homepage, offenbart erst bei zufälligem Klick auf eine Kantate, zum Beispiel BWV 144 “Nimm, was dein ist, und gehe hin” die hier angebotene Informationstiefe. Auf den Einzelseiten erfährt man nicht nur alle erdenklichen Informationen über Entstehung, Notierung, liturgischen Bezug und alle Tonaufnahmen (gleich mehrere Dirigenten wie Pieter Jan Leusink, Ton Koopman, John Eliot Gardiner, Philippe Herreweghe, Gustav Leonhardt, Nikolaus Harnoncourt, Masaaki Suzuki haben sich der Herausforderung gestellt, den kompletten Zyklus einzuspielen), sondern kann sich den Text der Kantate auch auf Katalanisch oder Chinesisch ausgeben lassen oder sich die Noten ansehen (und ausdrucken).

Aber es handelt sich hierbei nicht um ein reines Kantaten-Lexikon, sondern auch eine Diskussionsgemeinschaft, die auf hohem Niveau ebenfalls in einem langen Zyklus über die Kantaten und ihre Aufnahmen debattiert. Letzte Woche z.B. drehte sich das Gespräch um Kantate BWV 156 “Alles nur nach Gottes Willen” – und zwar bereits das dritte Mal (2003, 2007, 2010).

Buchtipps

Categories
Miscellen

Slow Mail

Auch der GNU-Vater und Free-Software-Visionär Richard Stallman geht mit diesem Statement als Slow-Media-Praktiker durch:

Most of the time I do not have an Internet connection. Once or twice or maybe three times a day I connect and transfer mail in and out. Before sending mail, I always review and revise the outgoing messages. That gives me a chance to catch mistakes and faux pas.

Dabei ist nicht so sehr der Verzicht auf das Always-On entscheidend, sondern die Art, wie man das Internet und damit verbundene Technologien wie Email nutzt – nämlich bewusst und mit einem kritischen Blick auf die Qualität.

Categories
Bücher

Anathem

Neal Stephenson - AnathemKaum ein Roman scheint auf den ersten Blick so gut zum Thema Slow Media zu passen wie “Anathem” von Neal Stephenson.

Die Vorstellung einer gespaltenen Welt aus zwei Sphären: eine schnelle postmoderne tribale Kultur aus Sekten, Erweckungsbewegungen und Einkaufszentren sowie einer naturwissenschaftlich-monastischen (eigentlich: naturphilosophischen) Welt, die zurückgezogen in Klöstern lebt, sich mit esoterischen Themen wie der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik befasst und deren Türen sich nur alle zehn bis zehntausend Jahre für einen Austausch mit der anderen Sphäre öffnen.

Die Inspiration durch die extreme Verlangsamung von Kunstwerken wie dem John-Cage-Orgelprojekt in Halberstadt oder der Long-Now-Foundation mit ihrer 10.000-Jahre-Uhr und den fünfstelligen Jahreszahlen – Willkommen im Jahr 02010! – liegt auf der Hand. Das Konzept ist also slow par excellence. Leider schießt Stephenson mit anderen Elementen über das Ziel hinaus: er hat seiner Welt – der Roman spielt auf dem ziemlich erdähnlichen Planeten Arbre – eine neue Sprache, Orth, gegeben, die zwar der englischen ähnlich ist, aber eben nicht ganz. Dementsprechend fällt das Glossar leider zu kurz aus, um wirklich slow zu sein, aber auch zu lang, um ignoriert zu werden. Die philosophischen und naturwissenschaftlichen Hintergründe sind, wie man es von Stephenson erwarten kann, sehr souverän eingeflochten, aber ich wühle mich dann doch lieber selbst durch Ockhams Sentenzenkommentar als durch die Orth-Variante mit dem neuen Namen “Gardan’s Steelyard“.

Categories
Naturwissenschaft Webseiten

Geologische Naturdenkmäler in Bayern

Hoher Stein bei Percha” Die Steine selbst, so schwer sie sind, Die Steine! Sie tanzen mit den muntern Reihn Und wollen gar noch schneller sein, Die Steine.”

“Aus Stein, aus Stein, so muss das Herz von meiner Liebsten sein.”

Von ihrem Gegenstand her ist die Geologie eine der langsamsten Wissenschaften. Wenn dann zu einer umfänglichen geologischen Datenbank ebenso sorgfältige wie gut verständliche Erläuterungen zur Entstehung von Toteislöchern, Gumpen und Findlingen dazu kommen, haben wir es mit einem guten Kandidaten für unsere Slow Media-Liste zu tun. Etwa 2.800 Objekte findet man im bayerischen Geotopkataster, viele (z.B. die Top 100-Liste hier) davon so spektakulär, dass sie einen größeren Umweg oder einen eigenen Ausflug wert sind – idealerweise begleitet von dem jeweiligen ausgedruckten Informationsblatt oder aber einem eBook-Reader. Zum Beispiel der oben abgebildete „Hohe Stein von Percha“, ein erratischer Amphibolitblock, „reichlich mit schräg laufenden Quarzadern durchzogen“, den der große Geologe Ludwig von Ammer gegen Ende des 19. Jahrhunderts als herausragendes Naturdenkmal der Region beschreibt:

Die Strasse weiter gegen den See herabschreitend gelangt man bald an den grossen Block von Percha vorbei, der als das schönste der erratischen Felsstücke in der Münchener Gegend gelten darf.

Anders als im Fall der Onlinedatenbank der Baudenkmäler kann man sich mit den geologischen Sehenswürdigkeiten Zeit lassen – die meisten davon haben bereits zehntausende Jahre überdauert und werden uns das ganze Long Now erhalten bleiben.

Categories
Bücher Kunst Musik Slow theory

Diederichsens 2000 Schallplatten und eine Kritik

Das kann doch kein Zufall sein! Gerade hatte ich damit begonnen, ein Loblied über die fantastische Kombination aus Verve und Langsamkeit oder aus Mode und Zeitlosigkeit zu formulieren, das der unendlichen Vielfalt der Kurz-, Mittel- und Langkritiken in Diedrich Diederichsens Summa „2000 Schallplatten 1979-1999“ zu formulieren, als @drmeyer folgendes twitterte:

profunder beitrag zur #slowmedia-debatte: diederichsens kritik an der neuen rezensionspraxis von @spex: http://bit.ly/7gYMRq #fas

Tatsächlich fügt sich dieser Beitrag wunderbar ein in unsere Argumentation für eine nachhaltigere, inspirierte und – wir brauchen eigentlich keine Angst vor diesem Wort zu haben – voraussetzungsvollere Medienproduktion. Den Modetrend, das vielstimmige und multiperspektivische Netz in die Rolle des Kritikers zu setzen, lehnt Diederichsen ab und formuliert als Qualitätskriterium für Kunstkritik die Fähigkeit des Kritikers, mehrere Positionen gegeneinander antreten zu lassen – kurz: für mehr Dialektik in der Kritik.

Die darauf folgende Passage fasst die Grundzüge von Kunstkritik als langsame sekundäre Kunstform – als Slow Media – sehr treffend zusammen und nimmt Stellung gegen Ausbeutung in den medialen Produktionsverhältnissen, Aktualität um jeden Preis und mechanistische Arbeitsteilung in den medialen Sweat Shops [einen fiesen Anglizismus pro Blogpost, das fühlen wir uns unseren Kritikern schuldig]:

Vor allem aber ist dies eine billige Form von Content: Der Befragte kriegt in der Regel kein Honorar. Praktikanten tippen Audiofiles ab, Redakteure redigieren und glätten, Autoren verschwinden. Ich votiere für das Gegenmodell: Autoren schreiben gut bezahlte, lange Texte, die nicht zum Erscheinen der Platte, des Buches, zur Einführung des Games oder zum Kinostart des Filmes erscheinen, sondern irgendwann, zu Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Rezeptionszyklus intervenieren.

Zurück zum eigentlichen Werk: Der nachhaltige Erwerb des gelben Bands sei auf jeden Fall allen Lesern dringend empfohlen, die wissen wollen, wie das Modell „Rezensentensubjektivität als Testarena der Rezeption“ funktionieren kann – idealerweise erst in Ruhe ein paar der Kritiken lesen und dann erst über den Diederichsentext in der FAS urteilen, denn in diesem Fall gilt: „Ein gedruckter Text ermöglicht da am ehesten die notwendige Geduld, die Abwesenheit einer Umgebung.“