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Tatorte, Gräben und drei Fragezeichen

Unterstellungen, Beschimpfungen, Verleumdungen. Man könnte meinen, der Begriff  “Strohmann-Argument” sei geradezu für die Debatten um den digtalen Wandel und das Urheberrecht, für den Kampf zwischen “alten” und “neuen” Medien erfunden worden. Unser Slow Media Manifest ist damals aus Unmut über diese unkonstruktiven Debatten zwischen Print und Online, zwischen traditionellen und neu entstehenden Kulturtechniken, entstanden.

Zwei Jahre und eine stattliche Anzahl an Beiträgen über den medialen Kultur- und Grabenkampf später sitzen wir hier immer noch, und das Säbelrasseln geht munter weiter. Keine sachliche Auseinandersetzung in Sicht, stattdessen flattern und blinken in zunehmendem Crescendo täglich weitere Beispiele für diesen Grabenkampf ins Haus. Dabei sind es nicht nur Verwerter, Verlage, Plattenfirmen und andere Gatekeeper, die sich zu Wort melden, um ihr Werk vor dem gierigen Schlund des Digitalen zu retten, sondern auch Urheber, also Autoren und Musiker selbst.

So redete sich der eigentlich zurückhaltende Musiker und Autor Sven Regener kürzlich in Rage, spricht in Bezug auf das Urheberrecht und digitale Verfügbarkeit von “asozialen” Leuten, “Deppen” und gibt einige überraschende Derbheiten (“ins Gesicht pinkeln”) zu Protokoll. Tatort-Drehbuch-Autoren wetzen in einem offenen Brief ihre Federkiele. Sie verwenden dabei in Bezug auf ihre vermeintlichen Gegner (auch hier die nicht näher definierte “Netzgemeinde”) fünfmal das wenig sachliche Wort “Lebenslüge” (sowie zweimal das Adjektiv “demagogisch”), um dann darauf zu verweisen, dass sie für “konstruktive Gespräche” jederzeit bereit stehen.

Dabei wird munter alles durcheinander in einen Topf geworfen, musikdownloadende Kinder und milliardenschwere Konzerne, Grüne, Linke, Kim Schmitz, Piraten, Freibeuter, Hacker, Musik, Filme, Blogger, Eigentum, Leistung, Schöpfungshöhe, ja nicht einmal Urheberrecht und Nutzungsrecht schaffen es die meisten Beteiligten auseinanderzuhalten, selbst wenn sie Juristen sind.  Man muss sich ernsthaft fragen, in welcher Phase der Debatte wir angekommen sind.

Ein funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber gibt es schon jetzt nicht

“Ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass der, der den Inhalt liefert, nichts bekommt, ist kein Geschäftsmodell. Das ist Scheiße”, sagt Sven Regener in seinem Hörfunkinterview. Da stimme ich ihm zu.

Allerdings bezieht er dieses Argument nur auf das, was er mit dem digitalen Wandel heraufziehen sieht. Aber viele der herkömmlichen und von ihm so vehement verteidigten Geschäftmodelle wie z.B. im Verlagswesen basieren genau darauf. Bei einer akademischen Publikation muss dem Autor als Bezahlung die Ehre genügen, dass er den Peerreview-Prozess passiert hat und überhaupt in einem renommierten Verlag publizieren darf. Akademische Forscher sind auf eine lange Publikationsliste angewiesen. Fertig. In or Out. Kennen Sie einen Doktoranden, der seine Doktorarbeit ohne Druckkostenzuschuss hat in einem Verlag drucken lassen können? Das Publizieren ist Voraussetzung für die Promotion, also müssen die meisten selbst dazuzahlen. Um einen Beitrag unter Open-Access-Bedingungen veröffentlichen zu lassen, kann es sein, dass Autoren mehrere tausend Euro zahlen müssen (zahlen, nicht bekommen): Verwaltungskosten, damit der Verlag das Werk des Autors allen Lesern frei zur Verfügung stellen kann. Das ist kein Scherz, das Modell hat sogar einen Namen: “Author-pays“-Modell.

Die Gratiskultur in Verlagen anzuprangern wäre also genauso angebracht wie die Kostenloskultur im Internet. Ich bin Autorin, ich weiß wovon ich rede. Und: Nein, das ist nicht nur bei wissenschaftlichen Publikationen der Fall. Fragen Sie einen freien Journalisten, wieviel Zeilenhonorar er bekommt und ob er sich durch die derzeit bei Verlagen üblichen Total-Buyout-Verträge gut vertreten sieht. Der Unterschied zwischen freiem Journalismus und kostenlos Bloggen ist vielleicht gar nicht so groß, wie Sie denken. In den belletristischen und anderen Buchveröffentlichungen bekommen die Autoren ca. 10 % des Nettoladenverkaufspreises. Rechnen Sie sich aus, ab welcher verkauften Auflage das bei einem Buch von 15 Euro als Geschäftsmodell für den Autor taugt. Verstehen Sie mich richtig. Ich weiß, dass vor allem kleine Verlage, die gute Arbeit machen, nicht anders wirtschaften können. Aber ein Geschäftsmodell für Autoren ist es eben schon jetzt nicht. Und auch bei Künstlern, Musikern und Filmemachern sieht es nicht viel anders aus (wenn sie nicht zu den lucky few wie Sven Regener gehören).

Die Wahrheit ist: Wir haben kein gut funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber. Genauer: Wir hatten auch schon vor dem Internet kein gut funktionierendes Geschäftsmodell für Urheber. Für die Verwerter vielleicht, aber nicht für die Urheber selbst.

Digitale Kultur jenseits von Internet-Konzernen

Ein weiteres Missverständnis ist es, die digitale Kultur mit den Wirtschaftsinteressen von Unternehmen wie Google, Facebook und Amazon gleichzusetzen. Auch wenn es offenbar für viele schwer vorstellbar ist: Es gibt eine digitale Kultur jenseits von Facebook. Nicht jeder, der eine Kultur des Teilens und Mitteilens pflegt, ist ein Lobbist von Google. Man kan für digitale Kultur und gegen ihre Vereinnahmung durch Google, Amazon und Facebook sein. Dieses Blog ist mit Beiträgen wie “Die Illusion vom freien Internet“, “Virtueller Rundfunk” und “Ohne Google” das beste Beispiel dafür.

Die richtigen Fragen stellen und beantworten

Deswegen haben Leute wie Sven Regener und die Tatort-Drehbuchschreiber zwar irgendwie recht, aber auch nur, weil sie alles durcheinander werfen. In der Summe treffen sie nicht den Kern des Problems und sie stellen auch nicht die richtigen Fragen.

Ich schlage also vor, das Potpourri der liebsten Feindbilder, das Netzgemeindesüppchen, vor sich hinköcheln zu lassen und sich stattdessen mit der Beantwortung der zugrundeliegenden eigentlichen Fragen zu befassen. Ich denke, auch Sven Regener und alle Tatort-Drehbuch-Autoren können sich ohne Gesichtsverlust meinen drei Fragen anschließen:

Die richtige Frage Nummer 1 lautet: Wie verhindern wir die systemische Ausbeutung von Urhebern?

Die richtige Frage Nummer 2 lautet: Wie schaffen wir es, die digitale Kultur jenseits der Interessen von wirtschaftlichen Unternehmen wie Google, Facebook und Co. zu fördern und zu etablieren?

Und die richtige Frage Nummer 3 lautet: Wann fangen wir endlich damit an?

 

 

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Als Nachtrag zum Thema der Beitrag von Autorin und Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig: “Und dann ist da noch mein T-Shirt-Shop. Wovon ich lebe: Ein Beitrag zur Debatte über Urheberrechte

 

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Sturmgeschütze und vierte Gewalt

Am 20. November 1925 endete in München ein Gerichtsverfahren, das in die Geschichte als “Der Dolchstoßprozess” eingehen sollte. Anlass war eine Beleidigungsklage des sozialistisch gesinnten Verlegers Martin Gruber gegen den konservativen herausgeber der ‘Süddeutschen Monatshefte’ Paul Cossmann. Cossmann war einer der Meinungsführer einer Hetz-Kampagne, die sich während der Reichstagswahl 1924 auf den Reichspräsidenten Friedrich Ebert fokussierte. Inhalt der Hetze war die sogenannte ‘Dolchstoßlegende’, also die Behauptung, Deutschland sei im Ersten Weltkrieg nicht durch seine Kriegsgegner besiegt worden, sondern der Krieg sei durch die Revolution im eigenen Lande verloren gegangen. Diese Behauptung wurde bereits während des Prozesses in München durch zahlreiche Gutachter widerlegt und vom Gericht auch klar und unmissverständlich als Geschichtsfälschung beurteilt – was leider in der aufgebrachten Stimmung der Weimarer Republik wenig Beachtung fand.

Die Position des Bundespräsidenten wurde im Grundgesetz ganz bewusst viel schwächer gesetzt, als es in der Weimarer Verfassung der Fall war. Dennoch sah sich der Bundestag bereits 1950 gezwungen, den ständigen Attacken gegen den jungen Staat, die sich in Person häufig direkt gegen Bundespräsident Heuss richteten, den eigenen Straftatbestand der “Verunglimpfung des Bundespräsidenten” im §90 StGB entgegen zu setzen.

Es ist viel einfacher, eine Person durch eben persönliche Angriffe zu vernichten, als abstrakte Gebilde wie Verfassungen oder Staatsverträge zu kritisieren. Jede abstrakte Funktion einer repräsentativen Demokratie wird am Ende doch von Menschen ausgeführt, willkommene Opfer. Während also am Anfang der Bundesrepublik das Verhältnis der demokratisch Gesinnten zur Presse noch ambivalent war – zu frisch die Erinnerung an die Verfemungen und die Hetze der Meinungskartelle der Weimarer Zeit – ist diese Skepsis in den Sechziger Jahren einer bewunderndend Verehrung gewichen. Auch wenn 1967 die protestierenden Studenten noch gerufen “Presse – Ne pas avaler!” und die Medien als Gift dargestellt hatten, das man besser nicht schlucken sollte, war durch Enthüllungen wie die Spiegel-Affäre oder den Profumo-Skandal die Presse für die bürgerliche Mehrheit längst mit kritischer Öffentlichkeit gleichgesetzt.

Öffentlichkeit ist nicht dasselbe wie Medien-Öffentlichkeit. Auch wenn Freiheit der Presse im Artikel 5 des Grundgesetzes neben der Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft aufgeführt ist, gibt es keine, den Medien von der Verfassung zugewiesene Funktion in der Willensbildung der Demokratie – anders etwa als bei den Parteien. Umso befremdlicher erscheint mir das Selbstverständnis der Verlage, die sich als vierte Gewalt im Staat gleichwertig neben Parlament, Regierung und Gerichten sehen, was tatsächlich jeder Legitimation entbert.

Aus dieser, sich selbst gesetzten Position als quasi konstitutionieller Teil der Demokratie wird auch sofort klar, dass die Presse gegen Angriffe zu schützen ist. In der goldenen Zeit der Printwerbung musste sich dieser Schutz sich im Wesentlichen nur gegen Übergriffe der Staatsmacht richten – der Presseausweis erinnert als Relikt noch heute an dieses Schutzbedürfnis. Aber heute sehen sich die Verleger von ganz anderen Mächten bedroht: da im Internet schließlich jeder zum Publisher werden kann, ist das Meinungsmonopol der Presse ins Wanken geraten. Die Arbeit der Redaktionen wird zunehmend von Algorithmen in Suchmaschinen übernommen – oder noch effektiver, durch Auswahl und Empfehlung der eigenen Freunde in den Social Networks. Die Folgen sind bekannt: enormer Reichweitenverlust und schwindende Relevanz – und damit nicht zuletzt sinkende Werbeeinnahmen.

Als vierte Gewalt fordern die Medien nun einen Bestandsschutz ein. Leistungsschutzrecht, ACTA, SOPA – wie auch immer die Zensurgesetze genannt werden, die die Lobbyisten der Verlage in Brüssel, Berlin oder Washington D.C. auf den Weg gebracht haben, alle dienen demselben Zweck, das Meinungsmonopol der Presse abzusichern, indem Konkurrenz und Kritik aus dem Netz gleichermaßen mundtot gemacht werden soll. Die ““Sturmgeschütze der Demokratie” – das ist der mustergültige Jargon der Eigentlichkeit – es geht um Angriff, um Krieg, um Kampagne. Vor Medien, die sich selbst auf solche Weise zu Freicorps hochstilisieren, wird mir himmelangst.

Ich wünsche mir, dass wir, die Nutzer der Social Networks, die Blogger, Twitterer, die Online Video Community, dass wir diese Presse nicht wieder so mächtig werden lassen, dass sie nach ihrem dafürhalten Oppositionelle verfehmt, Präsidenten zu Fall bringt und Regierungen stürtzt. Dafür müssen wir sorgen. Nicht jeden Artikel eines großen Medienhauses einfach zu verlinken und mit den Freunden zu teilen, wäre ein Anfang.

– und es ansonsten einfach mal mit Walter Kempowski halten: http://twitpic.com/kcfsw/full
(danke an @lorettalametta für diesen Link!).

weiter Lesen:

Das letzte Aufgebot
Höchste Zeit für verteilte Netze
Filter bubble
“Den Schrott gibt es im Internet”

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Urheberrecht, Kulturproduktion, Grundeinkommen

“Sinn und Zweck des Urheberrechts ist die Sicherstellung von ökonomischen und ideellen Anreizen zur kreativen Arbeit.” Dieser Satz aus dem Antrag “Für ein modernes Urheberrecht” auf dem Bundesparteitag der Piratenpartei beschreibt in der Tat den ursprünglichen Gedanken, in dem das erste Copyright 1709 mit der Statute of Anne in England Gesetz wurde:

“An Act for the Encouragement of Learning, by vesting the Copies of Printed Books in the Authors or purchasers of such Copies, during the Times therein mentioned“

.

Über die Folgen, die der Zerfall der Urheberrechts-Verwertung auf Kreativität und Kulturproduktion hat, habe ich schon ein paar mal geblogt (“Non Commodity Production” oder “Virtueller Rundfunk“). Kunstproduktion funktioniert seit zweihundert Jahren in der spannungsreichen Symbiose von “Künstler-Unternehmern” einerseits und Verlagen/Galerien andererseits. Beiden Seiten garantiert das System ihr wirtschaftliches Auskommen – sofern es sich um professionelle Künstler handelt. Professionell ist dabei ein Zirkel-Begriff, da berufsmäßiges Künstlertum genau dadurch definiert wird, dass der Künstler einen Markt hat. Neben bzw. über dem Markt steht ein System der Kunstförderung mit staatlichen Mitteln. Dieses System funktioniert genau wie wir es auch von der Finanzierung von Wissenschaft kennen: Gremien verteilen die Gelder, die man über einen Ausschreibungsprozess für sein Projekt beantragt.

Ob Wissenschaft oder Kunst – ich habe in meinem Leben keine unproduktivere und unkreativere Arbeit gemacht, als Gelder über diesen Prozess öffentlicher Förderung zu beantragen. Für ein Projekt mit zwei Jahren Laufzeit kann man üblicher Weise von 12 bis zu 18 Monate intensiver Antragsarbeit veranschlagen. Dadurch werden diejenigen systematisch bevorzugt, die über eine Infrastruktur zur Bewältigung der anspruchsvollen juristischen und inhaltlichen Logistik des Antragsprozesses verfügen: Künstler bzw. Wissenschaftler, die vorher schon erfolgreich waren oder die an Universitäten und Akademien den wissenschaftlichen Mittelbau dafür ausbeutennützen können. (Auch darüber habe ich hier schonmal geschrieben.) Meist sind die Mittel noch an Kriterien gebunden, die politisch und nicht inhaltlich motiviert sind. Ein Beispiel sind die Staatsgemäldesammlungen, die mit ihrem Etat streng Künstler aus allen Regionen eines Bundeslandes gleichmäßig ankaufen müssen; ein zweites Beispiel sind Mittel der EU-Kommission, die nur genemigt werden, wenn Institute aus mindestens drei EU-Ländern sich beteiligen.

Aber der Hauptnachteil dieser subventionierten Künste und Wissenschaften ist: es gewinnt immer das Mittelmaß; Innovation, wirklich umwälzende Neuheit hat so gut wie keine Chance auf Förderung. So waren es so gut wie nie die verbeamteten Kuratoren der staatlichen Museen, die wirklich signifikante Sammlungen angelegt hatten – das sind so gut wie immer private Sammler.

***

Während das alte Verwertungssystem zerfällt, erhebt sich gleichzeitig etwas Neues: die Mittel zur Kreativ-Produktion und Veröffentlichung stehen mehr und mehr Menschen zu immer geringeren Kosten bereit. Gleichzeitig steht praktisch alles, was erzeugt wird und wurde, allen jederzeit zur Verfügung. Durch diese beiden parallelen Entwicklungen – ‘jeder ein Künstler’ und ‘alles schonmal dagewesen’ wird die Schöpfungshöhe relativiert, aus der sich im bisherigen Verständnis die Schutzfähigkeit von geistigen Leistungen ableitet. (Was daraus für die Kreativberufe folgt, steht z. B. hier). Kreative Arbeit wird von viel mehr Menschen geleistet, als je zuvor. Aber es sind nicht mehr notwendiger Weise die ‘großen Würfe’. Das heutige Finanzierungssystem ist nicht darauf ausgelegt.

Wie in vielen Bereichen, ist auch bei der Subventionierung von Wissenschaft und Kunst unser Staatswesen darauf gebaut, die Menschen zu repräsentieren, das heißt einzuschließen, zu umschließen, zu homogenisieren. Und selbst der sogenannte Minderheitenschutz und das Pluralitätsgebot gehen davon aus, dass man die Menschen innerhalb dieser Minderheiten bzw. Teilmengen der Gesellschaft zusammenfassen kann. ‘Wir wissen, was gut für euch ist’ – so funktioniert das repräsentative System. Es ist autoritär, selbst wenn die Repräsentaten gewählt werden. Vieles in unserer Gesellschaft funktioniert nach diesem Prinzip, ob es die vielbeschriebene “Gate-Keeper”-Funktion journalistischer Redaktionen ist, ob kommunale Ausschüsse für “Kunst im Öffentlichen Raum” oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG.

Netzkultur jedoch sperrt sich gegen das Repräsentiert-Werden. Das liegt daran, dass sich im Netz jeder selbst präsentieren kann. Ein auf Repräsentation fußendes Finanzierungsmodell wie die heutigen Subventionen ist damit genauso ungeeignet, wie der auf signifikante Schöpfungshöhe basierende Schutz geistiger Leistung.

***

Das Recht der Menschen auf Sozialhilfe leitet sich in Deutschland aus dem Artikel 1 des Grundgesetzes ab. Mit der Sozialhilfe muss die Gesellschaft allen Menschen im Land ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Es steht also nicht zur Diskussion, ob unsere Gesellschaft auch für die Menschen sorgt, die – warum auch immer – aus dem wirtschaftlichen Raster fallen. Aber Sozialhilfe wird – genau wie die Gelder für Wissenschaft und Kunst – auf Grundlage des repräsentativen Systems verteilt. Menschen müssen sich qualifizieren, müssen sich als geeignet erweisen, um die Hilfe zu erhalten – was im Kern schon gegen den Gedanken einer allgemeinen Sicherung der Würde verstößt. Nicht zuletzt aufgrund der entwürdigenden Schikanen, die bedürftigen Menschen durch Hartz-IV aufgezwungen werden, um zu überleben, und die daraus folgende Finanzierung eines Molochs an staatlichem Verwaltungs- und Überwachungsapparat, wird schon länger die Alternative eines bedingungslosen Grundeinkommen diskutiert: die Zahlung eines Grundbetrags von Geld an jedermann, unabhängig, ob sich der Empfänger dafür als geeignet bewiesen hat, oder nicht.

Ich möchte aber hier gar nicht auf die schwierige und hochgradig ideologisch aufgeladene Debatte des Für und Wider des bedingungslosen Grundeinkommen eingehen. Mir geht es um eine Nebenwirkung, die ein solches Angebot für unsere Gesellschaft haben könnte: das bedingungslose Grundeinkommen wäre gleichzeitig die Grundfinanzierung für kreative Innovation. Für fast alle Künstler, Wissenschaftler und auch für viele der Unternehmensgründer, die ich kenne, wäre eine Existenzsicherung durch ein bedigungsloses Grundeinkommen eine enorme Erleichterung, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Und auch das sogenannte Übergangsgeld, welches Arbeitnehmern gezahlt wird, die ein eigenes Geschäft aufbauen wollen, wäre nicht mehr daran gebunden, dass deren Arbeitsplatz erst wegfällt. Es geht mir also um eine Alternative zum System der Subventionen einerseits und einer grundsätlichen Sicherstellung der Existenz, die den Einzelnen in die Lage versetzt, selbständig zu arbeiten.

Die Umstellung der kreativen, kulturellen Produktion vom repräsentativen System von heute, auf ein System, dass es die Präsentation des Einzelnen fördert, muss neben der Grundfinanzierung der Menschen ein Zweites sicherstellen: diskriminierungsfreien Zugang zu den Produktionsmitteln – und das sind heute vor allem die Plattformen zur Publikation, die CDNs, die in Wahrheit ‘Netzneutralität’ bedeuten und schließlich zu den Suchmaschinen, die die Produkte erst für andere sichtbar machen. Dieser zweite Aspekt sollte mit dem ersten komplementär durchdacht werden.

Die Rede vom “Diskutieren ohne Scheuklappen” wird meist von Leuten eingesetzt, um Abscheulichkeiten und Grausamkeiten in die Runde zu werfen und so den Boden für einen Kompromis zu ihren Gunsten zu erreichen. Im Fall des bedingungslosen Grundeinkommen stehen wir erst am Anfang der Diskussion. Weiten Teilen der Gesellschaft scheint es vollkommen undenkbar, einfach Geld ohne Bedingungen zu verteilen. Ich bin aber überzeugt, dass ein bedinungslose Grundeinkommen genau die Form ist, staatliche Sicherheit und Förderung vom autoritären, umschließenden “Vater Staat” auf die Netzkultur zu transformieren, die doch so ganz und gar auf Ermächtigung es einzelnen Menschen ausgerichtet ist.

Nachsatz

Der Grundgedanke von der Repräsentation durch den Staat im Gegensatz zur Präsentation des Einzelnen findet sich an einigen Stellen bei Alain Badiou (u.a. in “Das Sein und das Ereignis”). Badiou überträgt die aus der Mengenlehre entlehnten Begriffe vom “Einschließen”, “Zugehören” auf seine Ontologie und findet interessante Anknüpfungspunkte zur Dialektik von Öffentlichkeit/Privatheit bzw. Ökonomie und Politik bei Aristoteles und Marx/Engels. Ich habe leider bisher niemand gefunden, der diese Gedanken auf eine “post-demokratische” Gesellschaft und Netzkultur überträgt. Auch Badiou entfaltet nicht explizit eine politische Theorie aus seinen Überlegungen, sondern verharrt – verständlicher Weise – im Gegensatz von Kapitalisus/Kommunismus seiner Zeit. Gerne möchte ich an diesem Punkt weitermachen. Falls als jemand passende Quellen kennt, wäre ich dankbar für einen Hinweis!

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Kunstbücher im Digitaldruck

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In der Debatte um den Medienwandel und die zukünftige Bedeutung des Internet konnte man in letzter Zeit den Eindruck gewinnen, das Zeitalter des Drucks sei nach 500 Jahren an seinem Ende angekommen. Tatsächlich befinden sich viele Branchen, die von gedruckten Medien leben, seit Beginn des digitalen Zeitalters auf dem Rückzug: Zeitungen, Zeitschriften, Tiefdruck und sogar der Offsetdruck, wie die finanzielle Schieflage in die der Weltmarktführer Heidelberger Druckmaschinen 2009 geriet, eindrucksvoll zeigt.

In den klassische Verfahren ist die Erstellung der Druckformen der größte Aufwand beim Druck – gesetzte Buchseiten, Kupferstiche für die Abbildungen oder heute die Herstellung der Druckwalzen im Offsetdruck. Die Folge: je größer die Auflage, desto günstiger wird der Druckpreis pro Stück. Jeder, der schon einmal etwas hat auf klassische Weise drucken lassen, kennt sinngemäß die Aussage der Druckerei: “ob sie 1000 oder 2000 Stück drucken kostet dasselbe”.

Die Folge: auch hochwertige Bücher, die nur einen kleinen Kreis von Lesern ansprechen werden in Auflagen zu tausenden gedruckt obwohl nur wenige hundert für den vorgesehenen Preis verkauft werden können. Die Restauflage eines Kunstkatalogs, für den seine Käufer bereit sind, 98 Euro zu zahlen, wandert dann für 14,95 ins moderne Antiquariat. Jeder, der einmal ein teures Buch gekauft und wenig später – druckfrisch und orginalverpackt – auf dem Wühltisch bei Weltbild oder Zweitausendeins verramscht findet, wird in Zukunft zweimal überlegen, ob es sich nicht lohnt, etwas zu warten. Aus Marketing-Sicht eine Katastrophe! Und darüber hinaus ist es auch aus ökologischer Sicht bedenklich, ständig Restauflagen zu produzieren, mit giftigen Druckertinten, hohem Energieaufwand und der Menge Papier, die dabei verschwendet werden.

Digitale Druckverfahren wie Laser- oder Tintenstrahldruck bringen Text und Bilder ohne Druckformen aufs Papier, direkt aus der digitalen Datei – einem Pdf, einem Word-Dokument etc.

In den letzten dreißig Jahren hatte sich zunächst der Publikationsprozess an die digitalen Möglichkeiten angepasst. “Desktop Publishing” war das Schlagwort in den achziger Jahren, Database Publishing das der Neunziger und in den letzten zehn Jahren brachte das Internet das Contentmanagement bis hin zum sogenannten “Real Time Publishing”, der Veröffentlichung in “Echtzeit”, unmittelbar und sofort vom Laptop aus auf die Website. Stück für Stück hat sich dadurch das Publizieren von Papier und Druck entfernt.

Digitale Drucktechnik konnte es lange nicht mit dem Offsetdruck aufnehmen – weder an Geschwindigkeit noch an Druckqualität. Doch in der allerletzten Zeit hat sich dies geändert.
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In den letzten Wochen war ich in ein großes Ausstellungsprojekt involviert: Hundert Meisterwerke für Haiti – eine Benefizveranstaltung, die mit Unterstützung der Rotarier in München von unserer Galerie Royal ausgerichtet wurde.

Ein so kurzfristiges Projekt profitiert besonders von den Möglichkeiten des Digitaldrucks. Die Vorbereitungszeit dieser Hilfsaktion ist extrem knapp – den Umständen einer plötzlichen Katastrophe wie dem Erdbeben, dessen Folgen gemildert werden sollen, entsprechend.

Zunächst mussten vierzig namhafte Künstler gefunden werden, die bereit waren, die hundert Kunstwerke beizusteuern. Die Kunstwerke wurden Fotografiert, die Abbildungen bearbeitet und alle in dieselbe Auflösung gebracht. Die korrekte Beschreibung zu jedem Kunstwerk und die Biografie jedes Künstlers musste recherchiert, ein Preis in Verhandlung mit den Künstlern festgelegt und diese Informationen in standardisierter Form in einen begleitenden Text zu jedem Bild verfasst werden. Grafik und Layout wurden gleichzeitig von der Grafikexpertin Gisela Knobel entwickelt, in enger Abstimmung mit dem, auf digitale Produktion spezialisierten Druckdienstleister MSDD, der den Druck- und Postproduktionprozess übernimmt.

Digitale Druckmaschinen wie die hp Indigo, auf der auch der umfangreiche Katalog zur Ausstellung gedruckt wurde, produzieren genauso schnell, wie klassische Druckmaschinen. Unterschiedlichste hochwertige Papiersorten kommen ebenso zum Einsatz, wie Sonderfarben, die für eine realistische und brilliante Reproduktion sorgen.

Die Produktion dieses Kataloges – Erstellung von Bildern, Text, Layout und Druckvorstufe, schließlich Druck, Bindung und Fertigstellung durfte nicht länger als zehn Tage dauern, sonst wäre zur Ausstellung keine gedruckte Publikation vorgelegen. Ein solcher Zeitrahmen wäre im klassischen Druck schlicht unmöglich.

Dabei nutzen wir für diesen Katalog nur einen kleinen Teil der zusätzlichen Möglichkeiten, die Digitaldruck im Vergleich zum klassischen Offsetdruck bietet. Digital gedruckte Bücher können praktisch ohne Zusatzkosten individualisiert hergestellt werden, d. h. jedes Buch genau mit den Inhalten, die der Käufer möchte. Für die Kataloge großer Sammlungen oder Museen könnten aus den bestehenden Inhalten eine Vielzahl von Spezialkatalogen angeboten werden: Didaktische Arbeitshefte für den Unterricht, die z. B. nur eine bestimmte Epoche umfassen, Kataloge, die genau die aktuelle Hängung berücksichtigen, d. h. die Kunstwerke genau in der Reihenfolge zeigen, in der die Besucher der Ausstellung sie in den Räumen vorfinden – der Kreativität sin d hier keine Grenzen gesetzt. Und die Kataloge könnten immer auch die neusten Anschaffungen der Sammlung berücksichtigen – sie würden nie veralten.

Bücher sind praktisch, sie brauchen keinen Strom, sind ziemlich Robust, sie stürzen nie ab und sind bei guter Pflege auch nach Jahrhunderten noch gut lesbar. Die Materialität verleiht den Büchern ihre angenehme, haptische Qualität – sie liegen gut in der Hand. Gedruckte Bilder besitzen eine Auflösung und Farbwiedergabe, die Bildschirme heute und vermutlich noch lange in die Zukunft nicht erreichen können. Und doch schienen die Bücher durch die Geschwindigkeit und leichte Verfügbarkeit des digitalen Publishing, vor allem im Internet, plötzlich veraltet, langsam und träge.

Digitaldruck wurde bisher vor allem für Akzidenzdrucksachen eingesetzt – personalisierte Webemailings, Prospekte, Visitenkarten und so weiter. Heute kann digitale Produktion den Buchdruck revolutionieren – das Buch von den Fesseln seiner Produktion befreien und ihm Flügel verleihen, wie Amor der Schildkröte auf unserem Emblem!

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Leistung oder Wirkung?

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Remember that time is money.
Benjamin Franklin, Advice to a Young Tradesman

Als Benjamin Franklin mit dem Blitzableiter erst “dem Himmel den Blitz” und in der amerikanischen Revolution auch noch “den Tyrannen das Szepter” entrissen hatte, konnte kaumnoch irgenjemand an den Worten dieses titanenhaften Helden der Aufklärung zweifeln. Dessen berühmtestes Zitat aber hat weder mit Naturforschung noch mit Staatskunst zu tun, sondern stellt eine Regel auf, die für die kommenden zweihundert Jahre das Credo einer effizienzorientierten Wirtschaft werden sollte: “Zeit ist Geld”.

Der physikalische Begriff der Leistung P ist definiert als Arbeit W (beziehungsweise Energie, dann auch mit E abgekürzt), die pro Zeiteinheit t erbracht (bzw. verbraucht) wird. Damit entspricht die Formel P = W / t auch ziemlich gut dem alltagssprachlichen Verständnis von Leistung: fertigt ein Fabrikarbeiter 100 Werkstücke pro Stunde, so erbringt er die doppelte Leistung seines Kollegen, der für die selbe Anzahl zwei Stunden braucht. Und selbstverständlich gehen wir davon aus, dass der erste Arbeiter für seine höhere Leistung auch mehr Lohn erhalten sollte.

Und genau da endet auch schon die Analogie von Physik und Wirtschaft. Denn es ist sicher nicht so, dass eine hochbezahlte Führungskraft tatsächlich mehr leistet, als der Angestellte auf Sohle 7 der Unternehmenshierarchie. Diesen Gedanken verfolgt der Blogger und Filmemacher Werner Große in seinem Post auf den Wissenslogs. Ein anderer physikalischer Begriff erklärt nämlich viel besser, wonach sich in der post-industriellen Wirtschaftswelt Gehaltsunterschiede idealer Weise gründen: die Wirkung.

Die Wirkung in der Physik ist nicht zu verwechseln mit der Kausalität (Ursache/Wirkung). Wirkung S ist hier definiert als Arbeit mal Zeit (bzw. Energie mal Zeit). In Formel

S = E ⋅ t

Die einfachen mathematischen Gleichungen, indenen sich die Begriffe ausdrücken lassen, führen schnell zum Punkt, was das alles mit Slow Media zu tun hat: Nachdem die Leistung gleich Arbeit durch Zeit ist (P = E / t), hängen Wirkung und Leistung ebenfalls eng zusammen: S = P ⋅ t2
In Worten: ich kann die selbe Wirkung erzielen mit halber Leistung, aber in vierfacher Zeit.

Damit ist klar, dass Leistung, an sich betrachtet, schnell in hirnlose Energieverschwendung mündet – Hauptsache viel geschafft! Von anderer Seite betrachtet, wird die Bedeutung der Wirkung noch klarer. Auf ihrer lesenswerten Seite über “Grundfragen der Physik, neu gestellt und beantwortet von einer Frau” schreibt Brunhild Krüger:

Angenommen, mir stünden 1 kWh an Energie zur Verfügung:
Mit einer Glühlampe, die eine Leistung von 100 Watt hat, könnte ich damit einen Raum für 10 Stunden ausleuchten. […] Will ich jedoch nur ein Buch lesen, genügt eine Tischlampe mit 40 Watt, die ich 25 Stunden lang betreiben kann, ehe die verfügbare Energie verbraucht wäre.[…]
Je geringer die eingesetzte Leistung ist, um so mehr hat man von der vorhandenen Energie.

Immer mehr Leistung – das bedeutet immer mehr Energie in noch kürzerer Zeit zu verbrauchen. Aber in der Regel kommt es doch darauf an, welche Wirkung erzielt wird. Das gilt für Maschinen genau wie für Publikationen. Statt auf Leistung zu pochen, wie in der grauenhaften Diskussion um den sogenannten Leistungsschutz der Verlage, sollten die Publizisten besser dafür sorgen, dass ihre Arbeit Wirkung zeigt.

Mit etwas Glück und Salz und mit Pfeffer
Erzielt man manchmal völlig ungeahnte Treffer
Ist denn Verlass, dass das nachher schmeckt?
Die Hauptsache ist der Effekt

Günter Neumann, “Giftmischerrumba”