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Literatur

Suarez, Cline, Stephenson:
die Welt nach der Implosion

Drei Bücher, die ich ganz dringend zum Lesen empfehle:


“Deamon” von Daniel Suarez
“Ready Player One” von Ernest Cline
“REAMDE” von Neal Stephenson

Alle drei im Abstand weniger Monate erschienen – für Literatur also praktisch gleichzeitig. Alle drei haben ein Thema: die “Subkultur”, die man, mangels besseren Begriffs, meist als Netz-Kultur bezeichnet, bricht sich Bahn in die “alte” Welt.

An der Oberfläche entwirft Suarez einen düsteren Verschwörungsthriller nahe am Science Fiction , bei dem die Welt durch ein dezentrales Darknet beherrscht wird. Stephenson bedient ebenfalls das bekannte Genre des “Wir-reisen-um-die-Welt”-Krimis – bei ihm löst ein nerviger Trojaner, mit dem Kleinkriminelle Lösegeld für verlorene Daten erpressen, beinahe ein zweites 9/11 aus. Und bei Cline gewinnt ein armer Junge durch seine Überlegenheit im Online-Gaming ein Milliardenvermögen. Alles also erstmal ganz konventionelle Thriller, mal mehr, mal weniger dazuerfundene Technologie.

Aber dieser konventionelle Rahmen für die Handlung ist, glaube ich, nur Zugeständnis an die Masse der Leser, denn das, was in allen drei Romanen darunter geschildert wird, ist wirklich epochal: das bisherige Macht-System der Welt implodiert.

Das Netz ist für die Helden aller drei Bücher die eigentliche Topografie der Welt. Macht, Geld, Wissen und Beziehungen organisieren sich entlang der Kanten und Knoten des Social Graph. Auch wenn die Schurken zum Teil genauso Net-Savvy sind, wie die Guten – den wirklichen Schaden richten die Anderen an, die Politiker, Polizisten und “Zivilisten”, die nicht vom Netz verstehen und deshalb die Helden und deren Gegner in einen Topf werfen und bekämpfen. In allen drei Büchern widerfährt am Ende den Netz-Underdogs endlich Gerechtigkeit. Ihr Talent wird gewürdigt und ihre elitäre Stellung in der Gesellschaft anerkannt – oder noch mehr: dass es die Hacker sind, auf die es in Wahrheit in der Welt ankommt. Und ich muss zugeben, dass ich beim Lesen ein hohes Maß an Identifikation mit den Protagonisten entwickelt habe, geradezu Stolz, dass “es endlich so weit ist” …

Clines “Ready Player One” ist für mich das beste der drei Bücher. Mag sein, dass mich die poetische Aufarbeitung einer Kindheit in den 80er Jahren und der sehr originelle Durchgang durch die frühe Atari- und Comodore-Kultur berührt, weil es ja auch meine Kindheit war und weil die Dystopie einer Post-Finanzkrisen-Welt der Zukunft dazu besonders scharf und traurig im Kontrast steht.

***

Nachdem ich mich durch alle drei Wälzer mit insgesamt ca. 2000 Seiten gefressen habe, frage ich mich, ob ich mir wirlich wünschen soll, dass meine Generation endlich Rache nimmt, an den Altdenkern, den Netzhassern, diese Diktuphoben. Bei allem Zorn auf die bornierte Netzverweigerung, über die wir uns täglich rauf und runter auf Twitter erhitzen: wenn die drei Bücher einen utopischen Entwurf vermitteln, dann ist dabei ganz schön viel von dem, was mir wichtig ist, überbord gegangen.

Bedrückend empfinde ich, wie wenig Platz für Frauen in diesen Büchern ist. Den Sieg tragen immer Machos davon, die in ihrer regelrecht archaischen Geschlechterrolle als Warrior/Mage krass zu den “weichlichen” Netzfeinden kontrastieren. Am krassesten bei ‘Daemon’, wo die neue Führungselite direkt aus Fightclub entlehnt scheint. Irgendwie ist kein Platz mehr für Philosophie, Psychologie – von Religion ganz zu schweigen, die sowieso das erste Opfer des harten Positivismus dieser neuen Welt so werden scheint.

Diesen Verlust so deutlich zu machen, ist für mich eine der stärksten Aspekte der drei Bücher. Und obwohl ich fest daran glaube, dass wir in der Netz-Kultur vieles vorbereitet haben, was für eine bessere Gesellschaft zum allgemeinen Gesetz werden kann und sollte, sehe ich auch, dass der Wechsel wohl nicht ohne Preis vonstatten geht. Und dabei meine ich nicht, dass wir keine Briefe mehr schreiben.

Amazon Links:
“Daemon” von Daniel Suarez
“Ready Player One” von Ernest Cline
“REAMDE” von Neal Stephenson

Weiterlesen:
Die digitale Kluft
Memetic Turn
Die Moderne ist unsere Antike

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Die digitale Kluft.

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Durch unsere Gesellschaft (falls wir überhaupt noch dieses Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert bedienen wollen) läuft eine tiefe Kluft. Mit der Digital Divide wird üblicherweise das Problem des “digitalen Analphabetismus” bezeichnet, also die Tatsache, dass ein Teil der (Welt-)Bevölkerung durch Armut oder Starrsinn vom Internet ausgeschlossen bleibt.

In Wahrheit aber, davon bin ich überzeugt, läuft die Bruchlinie der digitale Wasserscheide aber viel elementarer durch unsere ganze, sogenannte abendländische Kultur. Dieser reaktionären Begriff scheint mir ganz in dem negativen Sinne von Oswald Spengler angemessen, denn es geht um nichts weniger, als den kompletten Umbruch der Ordnung, die uns seit mindestens 200 Jahren als gegeben scheint. Warum schreibe ich so pathetisches Zeug? Weil es passt!

Vor fünfzehn Jahren hatte ich in der Wired einen launigen Artikel gelesen: Net-Heads vs. Bell-Heads. Bell-Heads leitet sich von der Bell Telephone Company ab, der ersten Telefongesellschaft der Welt und dem direkten Vorläufer von AT&T. Über hunder Jahre lang waren Bell-Heads die Architekten der globalen (Tele-)Kommunikation. Aus den Bell Labs in New Jersey gingen viele epochale Erfindungen des IT-Zeitalters hervor, nicht zuletzt der Transistor. Die Bell-Heads waren die Helden und Propheten der vernetzten Welt.

Das Ende des Bell-Zeitalters trägt inzwischen legendäre Züge: John Draper, wie er sich mit dem Ton einer Trillerpfeife aus einer Cornflakes-Packung 1972 das US Telefonsystem unterwerfen konnte. Als sich die dezentrale Netz-Logik von TCP/IP mehr und mehr durchsetzte, wurde den Vordenkern der Netzkultur klar: ein zentralistisch-bürokratisches System wie die Telefongesellschaft war dem verteilten Chaos des Internet langfristig unterlegen. Die Net-Heads, die Evangelisten der anti-hierarchischen Kommunikationsarchitektur wurden zu den Apokalyptikern, die das Ende der alten Telefonwelt kommen sahen.

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Das Netz ohne feste Hierarchie mit rein lokaler Organisation ist das Sinnbild für ein neues Gesellschaftsmodell geworden. Das Maß an Freiheit von Zwang, Freiheit der Rede und die schier unbeschränkten Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung und Kreativität, deren Entwicklung wir seit den 90ern im Internet erleben konnten, hat uns gezeigt, wie wir auch leben könnten. Aus dem Kommunikations-Netz wurde eine Utopie. Aber die Wirklichkeit außerhalb des Netzes sah anders aus: 9/11 und “Krieg gegen den Terror”, Bankenkrise, Wirtschaftssklaverei, von unseren eigenen Grenzschützern ertränkte Flüchtlinge im Mittelmeer und das Leistungsschutzrecht – um nur einen Teil der politischen Litanei der letzten zehn Jahre herunterzubeten. Es ist also kein Wunder, dass uns das Netz manchmal geradezu messianische Züge annehmen mag, der Ort, an dem alles besser wird. Aber heute geht es mir gar nicht darum, diese – wie bei allen Utopien fragwürdigen Heilsversprechen der digitalen Welt zu dekonstruieren.

Auf einmal herrscht Unruhe in der Welt. Menschen erheben sich und gehen auf die Straße. Aber es sind keine Ideologien, keine Parteiprogramme oder Gewerkschaftsreden, die die Menschen in Aufruhr versetzen. Der Anlass zum Aufstand ist auch nicht immer derselbe. Vom Maghreb über Spanien in die USA sind es durchaus ganz unterschiedliche Zwänge, gegen die die Menschen sich erheben.

Was aber die Demonstranten zwischen Tahrir-Platz und Wallstreet eint, ist der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und Selbstorganisation. Und das Vorbild ist die Kultur im Netz.

Thierry Lhote twitterte unlängst: “like in may 68 in France a whole generation is learning meme manufacturing for their next Media VP job #occupywallstreet”; und was sich auf den ersten Blick zynisch lesen mag, ist bei längerem Nachdenken eine interessante Beobachtung. Wie vor fünfzig Jahren ist eine Generation herangewachsen, deren Werte mit der “alten Welt” nicht mehr in Konsens zu bringen sind. Dabei läuft der Bruch quer durch die alten Lager. Rechte, Linke, Grüne – in allen Gruppen dominiert eine Generation von Menschen, die emotional und intellektuell der Netzkultur fremd bleibt, selbst wenn sie sich nicht offen feindselig stellen. Und wenn sich die Net-Heads versuchen, in die alten Strukturen einzubringen, so funktioniert das nur so lange, wie man eben nichts ändert, und das Alte bedingungslos akzeptiert, wie die Twitter-Zensur bei den Grünen unlängst auf fast tragisch-komische Weise vorgeführt hat.

Oft wird der Aufstieg der Piratenpartei mit den Grünen in den späten 70ern verglichen. Und vieles an diesem Vergleich passt. Manche Feinde von damals sind dieselben geblieben: Atomkraft oder monopolistische Konzerne. Manches hat geradezu frappante Parallelen. Was die Notstandsgesetze für unsere Eltern bedeuten, sind uns heute der Bundestrojaner, IMSI-Catcher, Rettungsfonds und FRONTEX. Das Mem #0zapftis – Top-Thema der Frankfurter Allgemeinen von heute – ist die Spiegel-Affäre unserer Generation.

Damals, als wg. Sachen wie #Bundestrojaner noch Bürger auf die Straßen gegangen wären.

mag der @videopunk bedauern – aber ich bin überzeugt, dass genau das gerade geschieht.

Weiter lesen:
Disrupt politics!
Menschenrecht aufs Internet
Memetic Turn

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Zeitungen lesen lernen

Slow Media steht für medienübergreifende Medienkompetenz. In Gedanken überlege ich zuweilen, welche Unterdisziplinen eine slowmediavistische Medienkompetenz hätte, wenn wir dieses Fach unterrichten würden. Eine Unterdisziplin wäre wohl “Zeitungen lesen lernen”. In dieser Unterdisziplin würde davon zu sprechen sein, wie man Zeitungen (oder allgemein: Medien) liest. Nicht nur rein lexikalisch, sondern so wie man auch ein Fußballspiel lesen kann oder eine soziale Interaktion oder eine Gruppen-Konstellation. So wie man den Subtext einer Situation entschlüsselt. Wichtig ist dabei der Blick auf das Spiel als Ganzes mit seinem Regelsystemwerk, nicht nur auf die einzelnen Spielzüge.

Diese Unterdisziplin der Medienkompetenz würde lehren, den methodenkritischen Blick zu schärfen. Sie würde nach den Grundvoraussetzungen suchen, unter denen ein Medienbeitrag zustande kommt und nach den Vorzeichen fragen, unter denen der Beitrag steht, nach den impliziten Grundannahmen.

Für uns alle (Mediennutzer wie auch Medienproduzenten)  sind diese Grundannahmen um so blindere Flecken, je näher sie unserer eigenen Einstellung, unseren eigenen Grundüberzeugungen sind. Was gibt es spannenderes als blinde Flecken – die eigenen und die der anderen? Wie herrlich man sie nutzen kann, um den Blick und die Instrumente zu schärfen. Was steht zwischen den Zeilen? Was ist das unsichtbare Kleingedruckte? Auch wenn wir längst lesen können, müssen wir erst noch lernen, Medienalphabeten zu werden.

Welten und Gegenwelten

Als Beispiel könnte man einen Beitrag der Welt am Sonntag vom 2. Oktober 2011 (Nr. 40, WS 6) hinzuziehen. Hier wird aus den steigenden Mieten in Berlin das erfreute Fazit gezogen: “Berlin wird endlich zur Metropole”. Auch im NRW-Teil der Zeitung werden unter dem Titel “Krönung für die Kö” freudig die ersten Luxusmieter begrüßt.

Daraus lassen sich unschwer Rückschlüsse auf die Leserschaft ziehen. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich hierbei eher um Immobilienbesitzer als um Mieter handelt. Denn nur für erstere Gruppe dürfte es sich bei der Nachricht, dass  “In Top-Lagen […] Mietsteigerungen möglich” seien, um eine erfreuliche handeln.

Dass hierzu eine Gegengeschichte zu erzählen wäre, liegt nahe und wäre eine hübsche kleine Fingerübung für Leute, die sich in slowmediavistischer Wahrnehmung üben möchten. Wie könnte die Komplementärgeschichte aussehen? Eine, die von Stadtentwicklung spricht, von Gentrifizierung, von den Auswirkungen auf Gemeinwohl, Stadtteilkultur und Identität?

Diese mögliche Gegenwelt ist wie die Rückseite des Mondes auch in dem zitierten Zeitungsartikel mitenthalten (genauso wie andersherum in dem gedachten Gegenbeitrag die Perspektive des obigen Beitrags implizit enthalten wäre). Slow Media bedeutet, diese ungeschriebenen Gegengeschichten mitzulesen und zu versuchen, von einer Einzelperspektive auf das Ganze zu schließen.

Zu dem steigenden Berliner Mietspiegel gibt es natürlich bereits Gegengeschichten, wie die lustige Erfindung des “Wutmieters“. Dass unsere Welt jenseits des medialen Tellerrandes aus geschriebenen Geschichten und Gegengeschichten besteht,  das ist eben der unschätzbare Wert einer pluralen Medienlandschaft.

 

 

 

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Verkehr

Bremsen können

Ich zitiere ein paar Sätze aus einem ansonsten recht trockenen Text über die Geschwindigkeit im Bahnverkehr der 1920er bis 1930er Jahre:

“Die Steigerung der Reisegeschwindigkeit wird in den letzten Jahren von allen Ländern, die auf einem hohen Stand technischer Entwicklung stehen, mit Eifer und Nachdruck betrieben. Es scheint, als ob ein Wettrennen eingesetzt hat, das in jedem Jahre von neuem gelaufen wird. Kaum hat ein Land einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt, so kündigt schon ein anderes an, daß es diesen Rekord demnächst übertreffen wird.”

Die enge Verbindung von Geschwindigkeit und Nationalismus überrascht in diesem Text von 1935 nicht. Rekorde wurden von Ländern aufgestellt, nicht von Personen, Unternehmen oder gar Maschinen. Wie sehr der Faschismus die Geschwindigkeit verehrt hat, sieht man zu Genüge in den beschleunigungschauvinistischen Manifesten des Futurismus.

Spannend wird es aber weiter unten im Text, wo es um die Voraussetzungen für die Geschwindigkeitssteigerungen (genauer: Steigerungen der Reisegeschwindigkeit) zwischen 1929 und 1934 geht: Um einen höheren Geschwindigkeitsdurchschnitt fahren zu können, müssen nicht die Lokomotiven eine höhere Spitzengeschwindigkeit fahren können, sondern die Brems- und Signaltechnik muss auf die neuen Geschwindigkeiten abgestimmt werden. Es geht nicht so sehr um die Beschleunigungsleistung und Zugkraft, sondern um “Bremshundertstel”, “Bremswege” und “Vorsignalabstände”. Je schneller die Reisegeschwindigkeit des Zuges, desto größer zum Beispiel der Abstand zwischen den Signalen, damit der Bremsweg des tonnenschweren Geräts ausreicht.

Die wichtigste Grundlage für den Eintritt ins Hochgeschwindigkeitszeitalter war also die Fähigkeit des Sicher-Bremsen-Könnens. Gefordert war von den Ingenieuren eine Art neuartige “Bremskompetenz”, um auch bei höheren Geschwindigkeiten ein sicheres Reisen zu ermöglichen.

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Wirtschaft Zeitschriften

Wired oder Die geheime Rache der Mad Men

Einer der Vorwürfe an die deutsche Ausgabe der Wired bezieht sich auf die in den Augen der Kritiker bisweilen nur schwer erkennbare Grenze zwischen redaktionellen und werblichen Elementen. Wir sind es gewöhnt, dass diese Grenze mit klaren Hinweisen ausgestattet ist: “Achtung! Sie verlassen den redaktionellen Bereich der Zeitschrift!” Das Schmuggeln von Werbebotschaften in den redaktionellen Bereich ist ebenso verpönt wie das Schmuggeln von redaktionellen Inhalten in den werblichen Teil.

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Vor fast 30 Jahren erschien “Ogilvy on Advertising”, ein Buch, das trotz der vielen nostalgisch anmutenden Werbebeispielen aus den 1960ern und 1970ern immer noch ein wichtiger Teil werberischen Selbstverständnisses darstellt. David Ogilvy wird vermutlich heute im Zuge der Madison-Avenue-Nostalgie häufiger zitiert denn je.

Der Unterschied zwischen der Werbung (insbesondere gilt das für Printanzeigen) der Ogilvy-Zeit und der Gegenwart ist frappierend: Die typische Ogilvy- oder FCB-Anzeige der 1970er hat ein großes Bild, eine Bildunterschrift, eine Textüberschrift und einen mehr oder weniger langen Text. 2000 und mehr Wörter sind keine Seltenheit. Die legendäre Rolls-Royce-Anzeige von Ogilvy (“At 60 miles an hour the loudest noise in this new Rolls-Royce comes from the electric clock”) hat mehr als 300 Wörter in 15 Absätzen.

Anders ausgedrückt: Diese Anzeigen sehen alle aus wie redaktionelle Inhalte.

Zufall? Nein, Absicht. Ogilvy schreibt: “There is no law which says that advertisements have to look like advertisements. If you make them look like editorial pages, you will attract more readers” und gibt den ambitionierten Nachwuchswerbern auch konkrete Tipps, die heute an die Strategien von Viagra-Spammer erinnern, wie zum Beispiel: “When the magazine insists that you slug your ads with the word advertisement, set it in italic caps, in reverse. Then nobody can read it.”

Ich denke nicht, dass er das genau so meinte. Dahinter steckt eine viel tiefere Erkenntnis, nämlich: “editors communicate better than admen.” Das Ziel ist nicht so sehr, dumme Werbung zu schaffen, die sich als kluger Journalismus tarnt, sondern: eine intelligente Form von Werbung zu schaffen. Geistreich, anregend, unterhaltend. Noch deutlicher wird dieser Werbetraum bei Howard Luck Gossage, der diese Vision als “erwachsene” Form der Werbung bezeichnet.

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Genau dieser Punkt verdient viel mehr Aufmerksamkeit – auch in der Diskussion: Was passiert, wenn die Werbung auf einmal ambitionierter, besser gemacht und vielleicht lesenswerter wird, als die redaktionellen Inhalte? Wenn die Werbung auf einer Webseite mit automatisch produziertem Content das einzige handwerklich hergestellte Element ist? Wenn Werbung slower wird als das Medium, in dem sie erscheint? Wenn die Werber die Leser viel stärker ernst nehmen als die Redakteure?

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Archäologie Fernsehen

Lob des Fernsehens

Hinreißend, wie Susanne Gaschke den neuen Slow-Media-Autoren Tom Hodgkinson in der Zeit inszeniert. Mit Bauern, alten Traktoren und alten Bauernhöfen. Letztere heißen natürlich nicht Bauernhof, sondern Farmhaus, weil das englischer und noch ein bisschen altmodischer klingt. Nach einer vergangenen Epoche, in der man in der Tramway einen Paletot getragen hat. Aber zur Sache. In dem Artikel geht es um Tom Hodgkinsons Kritik der spätkapitalistischen Lebensweise, die hier als “Fast-Food-Monokultur” bezeichnet wird.

Das kleine Theater von Pula
Das kleine Theater von Pula - dort gab es im Gegensatz zur Arena die niveauvolle Unterhaltung, nach der sich die meisten Bildungsbürger so sehnen

Die Lösung der Misere ist, wie bereits vor 700 Jahren von Petrarca beschrieben, die Entsagung des schnellen Stadtlebens und die Hinwendung zur naturnahen guten Lebensweise:

Hört auf zu jammern! Kündigt eure Jobs, arbeitet frei oder in Teilzeit! Lernt ein Handwerk, gründet ein Geschäft, baut Gemüse an, zerschneidet eure Kreditkarten! Zieht aufs Land, wo alles billiger ist. Backt Brot, spielt Ukulele!

So klingt das bei Hodgkinson.

[…] gutes Essen, gutes Trinken, gute Bücher, Freunde und Feste stehen im Zentrum seiner Ideen. Es geht ihm um eine Konzentration auf das Wesentliche. Und er behauptet, dass man sich all dies relativ mühelos leisten könne, wenn man sich von der Plastikwelt abwende, Bücher secondhand kaufe und sein eigenes Gemüse anbaue.

Villa Rustica auf den Brioni-Inseln
Die Reste einer Villa Rustica aus dem republikanischen Rom auf den Brioni-Inseln - So sieht Landleben aus, wenn man es richtig macht

So paraphrasiert Gaschke das noch einmal. Eigentlich ist dagegen nichts einzuwenden. Das klingt schon ziemlich nah an dem Slow-Media-Evangelium, das wir in diesem Blog und in unseren Veranstaltungen predigen. Leider fällt das Hodgkinsonsche Programm dann an einer Stelle rapide ab. Er meint (wiedergegeben durch Gaschke):

Weg mit Auto, teuren Reisen, iPods, Prada-Gürteln und vor allem: weg mit dem Fernsehapparat!

Da ist sie wieder. Die wohlfeilste Art der Vulgärmedienkritik, die mindestens seit der Geburt des Mediums ihr Unwesen treibt. Das Fernsehen ist die Wurzel alles Übels. Das Fernsehen ist der Kulturzerstörer schlechthin. Slow Media heißt in erster Linie, einen Schritt zurück zu treten, und mit etwas gesunder Distanz zu bewerten, welche Medien und welche Inhalte gut sind und welche schlecht. Ein ganzes Medium zu verdammen ist Fast-Food-Kritik.

Arena von Pula
Die Arena von Pula - Auch in Rom gab es natürlich schon Fast Media. Blut, Kampf und Sauferei für das gesamte Umland der kleinen römischen Kolonie

Jedesmal, wenn mir dieses bildungshuberische Totschlagargument unter die Finger gerät, bin ich fast schon versucht, mit einem Lob oder zumindest einer Apologie des Fernsehens zu reagieren.

Ich könnte darüber schreiben, wie das Bildungsmedium schlechthin – das Buch – als reinste Trashschleuder begonnen hatte. Der frühe Buchmarkt bestand fast ausschließlich aus okkultistischen Ratgebern, in denen man zum Beispiel erfahren konnte, wie man den Froschkönigen ihre Krone entwenden konnte oder wie man sich einen Zauberspiegel herstellt (dazu sehr lesenswert Doering-Manteuffels Studie über Das Okkulte) oder schnell dahingeschriebenen Romanen.

Oder ich könnte von der TV-Produktion La meglio gioventù (dt. Die besten Jahre) schwärmen, die ausgerechnet in dem Land hergestellt wurde, das dem totalitären, verblödenden Fernsehen, wie es die Vulgärmedienkritiker sehen, noch am nächsten kommt: Berlusconi-Italien.

Oder natürlich über Kir Royal schreiben, die Serie, die auch nach 25 Jahren kein bisschen Schärfe und Witz verloren hat. Oder über Leo Kirch und sein UNITEL-Vermächtnis der grandiosen Opernverfilmungen von Jean-Pierre Ponnelle. Ist das nicht der perfekte Schlussakkord, der die Fernsehverweigerer als Kulturbanausen entlarvt, die sich selbst um den Zugang zu Bildern wie diesen bringen? Lautstärke aufdrehen, Vollbild einschalten und Lang lebe das Fernsehen!

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Alltag Geschichte Philosophie Slow theory

Plädoyer für einen differenzierten Ansatz

Ich komme gerade vom 23. Medienforum.nrw zurück, bei dem ich mit Ulf Froitzheim, Ulrike Langer, Sven Hansel und Konstantin Neven DuMont zum Thema “Unternehmerjournalismus” zu Gast war. Unsere Podiumsdiskussion war gelungen. Zumindest war sie – und zwar trotz unterschiedlicher Meinungen – frei von Lagerkämpfen und gut geführt von der Moderatorin Anke Bruns. Man hat sich zugehört und geantwortet. So sollte es auch sein.

In den Tagen vorher aber wurde klar, dass der Graben zwischen “alten” und “neuen” Medien noch viel tiefer ist, als ich gedacht hätte. Das Aneinandergeraten von Frau Piel und Herrn Gutjahr offenbarte dies, und auch die Aussage von Margot Käßmann, “Zeitungen verbinden Menschen, soziale Netzwerke nicht”. Klischees scheinen das Denken und die Diskussionen zu beherrschen.

Eines dieser Klischees ist das vom sozial vereinsamten Internetnutzer (Auflösung: Wer das Internet rein konsumierend nutzt, kann – wie auch der ebenso passiv-lethargische Fernsehkonsument – sozial vereinsamen. Wer das Internet sozial und als aktiven Kommunikationsraum nutzt, nimmt auch offline aktiv an sozialem Leben teil).

Ein weiteres Klischee ist das von der Ignoranz der Offliner (Auflösung: Es gibt tatsächlich Offline-Lobbyisten, deren Ignoranz aber Kalkül ist: Warum sich mit substantiellen Änderungen am Geschäftsmodell befassen, wenn man damit noch fünf Jahre durchkommt und bis dahin seine Schäfchen im Trockenen hat? Es gibt aber auch Offliner, die sich einfach nur nach Kräften bemühen, ihren Laden zusammenzuhalten (was derzeit nicht leicht ist), nach Lösungen für die Zukunft suchen und sich zu recht dagegen verwahren, per se Dinosaurier zu sein. Es gibt auch offline gute Zuhörer.)

Ein weiteres Klischee ist das von der Qualität im Print und dem Schrott im Internet. Niemand käme auf die Idee, einen Essay von Hannah Arendt mit einem pharmafinanzierten Artikel aus dem “Goldenen Blatt” zu vergleichen – nur weil beides zufällig auf Papier gedruckt ist. Mit unserem medienübergreifenden Ansatz im Manifest verlangen wir nicht mehr als dieselbe Differenzierung auch für digitale Medien walten zu lassen. Das gebietet eigentlich schon der gesunde Menschenverstand.

Warum wird die Mediendebatte mit derart hartnäckigen Klischees geführt?

Wir Menschen suchen in Phasen des Übergangs nach klaren und vertrauten Klischees, weil sie Orientierung bieten. Sie dienen der Selbstvergewisserung – und wer von uns bräuchte das nicht?

Trotzdem plädiere ich für einen mutigen und differenzierenden Blick. Einen naht- und stufenlosen Übergang von bisherigen zu zukünftigen Kulturtechniken wird es – so schön es wäre – nicht geben. Wir können nicht erwarten, für alles fertige Modelle zu haben. Wir müssen mediale Amphibien sein und das Nebeneinander von sich widersprechenden Konzepten aushalten. Wir müssen uns den Brüchen und Verwerfungen unserer eigenen Klischees aussetzen. Wir können uns als Gesellschaft dieses harte Entweder-Oder nicht leisten. Wir müssen nach neuen Kriterien suchen, die dies- und jenseits unserer Klischees funktionieren.

Um neue Lösungen zu finden, braucht es kritische Differenzierung. Wir müssen irritierende Grautöne zulassen – mehr noch: wir müssen sie sogar suchen.

Wir müssen das Weiße im Schwarzen und das Schwarze im Weißen sehen lernen.

Widerstehen wir der Versuchung, die Welt in schwarzweiss zu denken. Denken wir die Welt in all ihren wilden Farben und Zwischentönen.

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Alltag Politik

Den Stecker ziehen?

Oft angesprochen auf die Macht der Computer sagte Konrad Zuse: Wenn die Computer zu mächtig werden, dann zieht den Stecker aus der Steckdose.
Horst Zuse

Die sächsische Polizei hat im Februar die Daten der Mobiltelefonverbindungen von mehreren tausend Personen gespeichert und ausgewertet. Darunter waren nicht nur Menschen, die von ihrer verfassungsmäßigen Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gebraucht gemacht hatten, sondern auch zahllose Anwohner und andere zufällige Passanten.

Zum Glück ist der – nach meiner Meinung ins kriminelle verzerrte, exzessive – Missbrauch durch die sächsischen Behörden bekannt geworden und es beginnt die politische und juristische Nachbearbeitung.

Wirklich bemerkenswert finde ich allerdings, wie uns an diesem Beispiel vor Augen geführt wird, wie wenig Möglichkeiten uns bleiben, die Wirkung der digitalen Kommunikation auf unser Leben zu steuern oder wenigstens zu überblicken. Man mag wie Konrad Zuse ausrufen: “Dann zieht doch einfach den Stecker”, oder wie die Ludditen zum Maschinensturm aufrufen. Dabei wird allerdings die Dialektik des “Stecker Ziehens” deutlich. Die Ludditen, die uns ein Leben ohne Technologie vorschwärmen irren genauso wie die Apologeten der Technologie, die uns, mit Konrad Zuses Worten, zum Trost und zur Beruhigung eine sichere Alternative empfehlen, in der wir ja nur die Stecker aus den Dosen zu ziehen müssten – dass also die Technik stets unter unserer Kontrolle bliebe.

Beide irren – und interessanter Weise mit dem selben Argument. In Wahrheit lautet die Alternative schon längst nicht mehr “Stecker-Raus”. Selbst wenn wir uns verweigern, und kein Mobiltelefon nutzten – was weniger als 2% der Bevölkerung über 14 Jahre tun – die Kabel, über die unsere Person in zahllose Datenbanken sich vernetzt hat, lassen sich nicht einfach “aus der Dose” ziehen. Einwohnermeldestatistik, Toll Collect, Girokonto, Versicherungen, Browser-Cookies etc. etc. lassen sich entweder gar nicht, oder nur unter großen Einschränkgungen umgehen. In weiten Bereichen ist unsere Gesellschaft zwangsdigitalisiert.

Wir dürfen uns nicht vormachen lassen, dass wir so mir-nichts-dir-nichts in eine unvernetzte Gesellschaft zurückkehren können. Um so wichtiger, dass wir nach vorne schauen, dass wir dafür sorgen, diese vernetzte Welt so zu gestalten, dass wir so viel wie möglich Kontrolle darüber behalten.

Neben der Wachsamkeit gegenüber staatlicher Datensammelei ist insbesondere Vorsicht gegenüber transnationalen Konglomeraten von Wirtschaftsunternehmen geboten, die einen Großteil unserer Kommunikationsinfrastrutkur beherrschen. All die großartigen und überaus bequemen Angebote – Social Networks, Location Based Services, Mobile Apps, Search Engines, Smartphones und so weiter – sind eben nur scheinbar kostenlos. Der Preis, den wir dafür zahlen, ist, diesen Unternehmen Einlass ins innerste unseres Lebens zu gewähren.

Ich bin überzeugt, dass wir aber nicht jeden Preis zu zahlen brauchen. Ich bin überzeugt, dass wir uns sehr wohl einiges an Kontrolle zurückholen können. “Empört euch!“, sollten wir rufen. Und es ist wohl bald an der Zeit, sich auf den digitalen Tahrir-Plätzen zu versammeln, um unseren Staatsverwaltungen wie auch den Unternehmen klar zu machen: wir wollen den Stecker gar nicht ziehen – aber uns gehört das Netz! Lasst uns endlich die Kontrolle darüber gewinnen!

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